Berlin.

Die Menschheit kann das Ausmaß der Erderwärmung nur noch dann in Grenzen halten, wenn weltweit rasche und „nie da gewesene“ Maßnahmen zum Klimaschutz eingeleitet werden, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfassen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Sonderbericht des Weltklimarats IPCC, der in der Nacht zu Montag veröffentlicht wurde. Hunderte Klimaforscher warnen darin vor den verheerenden Folgen für eine Welt, die sich um mehr als 1,5 Grad erwärmt. Ökosysteme wie Korallenriffe würden weltweit zerstört, das grönländische Eis und Teile des antarktischen Eises unwiederbringlich verloren gehen. Gleichzeitig zeigt der Report Wege aus der Klimakrise auf. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Worum geht es in diesem Bericht?

Es geht um die Frage, ob die Menschheit den Anstieg der Erderwärmung im Vergleich zur vorindustriellen Zeit auf 1,5 Grad begrenzen kann. Den Auftrag hatte die Staatengemeinschaft 2015 auf der Klimakonferenz in Paris dem UN-Klimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) erteilt. Das Gremium mit Sitz in Genf trägt den Stand der Forschung zusammen, betreibt aber selbst keine Forschung, sondern stellt den politischen Entscheidungsträgern die Ergebnisse der Forschung zur Verfügung. Für den Report hatte ein Kernteam von 91 Autoren und 250 weiteren Forschern 6000 Studien der vergangenen Jahre analysiert und bewertet. Aus dem 200 Seiten umfassenden Endbericht wurde nun eine über 30 Seiten lange Zusammenfassung gefertigt.

Was ist die Kernbotschaft?
Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass es weitreichende Vorteile für viele Millionen Menschen und eine Vielzahl von Ökosystemen bringen würde, wenn der Temperaturanstieg auf 1,5 Grad statt auf zwei Grad begrenzt werden könnte. Dies sei technisch machbar, erfordere jedoch von den Volkswirtschaften „nie da gewesene Veränderungen“ in Landwirtschaft, Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr sowie in Städten, sagte Leitautor und Klimaforscher Hans-Otto Pörtner vom Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Damit gemeint sind etwa der Umbau der Energieversorgung, das Ende des Verbrennungsmotors oder eine klimaschonendere Nahrungsmittelproduktion.

Von welchen Zeiträumen sprechen die Forscher?

Laut aktuellem Stand der Wissenschaft ist die Erde bereits rund ein Grad wärmer als vor der Industrialisierung. „Wir werden die Schwelle von 1,5 Grad Erwärmung im Zeitraum 2030 bis 2052 überschritten haben“, sagte Pörtner. Ohne zusätzliche Anstrengungen steuere die Welt auf drei Grad Erwärmung zu – „in eine Klimazukunft, die es so noch nicht gegeben hat“. Um dies zu verhindern, so heißt es im Report, müsse der Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) weltweit im Vergleich zu 2010 bis zum Jahr 2030 um 45 Prozent reduziert und dann bis 2050 auf null gesenkt werden. Im Klartext bedeutet dies eine Art Vollbremsung bei den Emissionen und einen weltweiten Umbau der Energieversorgung auf erneuerbare Energien innerhalb weniger Jahrzehnte. Entstehen dann noch Emissionen – etwa durch fossile Treibstoffe im Luftverkehr oder bei der Herstellung von Zement, Stahl oder Aluminium – müsste das CO2 an anderer Stelle wieder aus der Atmosphäre entfernt werden. „Die nächsten zehn Jahre werden entscheidend sein“, sagte Klimaforscher Pörtner. Jedes Zehntel Grad Erwärmung habe Auswirkungen. Es drohe der Verlust ganzer Ökosysteme.

Welche Folgen befürchten die
Forscher bei Nichterreichen der Ziele?

Der IPCC-Bericht sieht in Bezug auf die erwarteten Klimafolgen klare Unterschiede zwischen einer um 1,5 Grad und einer um zwei Grad wärmeren Welt. Demnach würden mit hoher Sicherheit bereits bei einer Erwärmung um 1,5 Grad 70 bis 90 Prozent der Korallenriffe weltweit absterben. Bei zwei Grad jedoch seien mit sehr hoher Sicherheit „nahezu alle“ Riffe verloren. Beim Meereis der Arktis betrage die Wahrscheinlichkeit einer eisfreien Arktis im Sommer bei einem Anstieg um 1,5 Grad einmal in 100 Jahren. Bei einem Temperaturplus von zwei Grad geschehe dies mit hoher Sicherheit einmal pro Jahrzehnt. Der globale Meeresspiegel würde bis zum Ende dieses Jahrhunderts bei 1,5 Grad Erwärmung um zehn Zentimeter weniger steigen als bei zwei Grad. Das können die Forscher nur mit mittlerer Sicherheit sagen. „Zehn Zentimeter weniger bedeuten jedoch mehr Schutz für zehn Millionen Menschen“, merkte Pörtner an.

Welche Reaktion hat der Bericht ausgelöst?

„Hitzesommer, Extremwetter, Ernteausfälle – alle Alarmzeichen stehen auf Rot“, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. „Die Bundesregierung sollte sich den IPCC-Bericht ernsthaft zu Gemüte führen und endlich handeln.“ Auch Forscher und Nichtregierungsorganisationen appellierten weltweit an politische Entscheidungsträger, einschneidende Maßnahmen zum Klimaschutz zu verabschieden. „Wir haben weniger als ein Jahrzehnt, um die CO2-Emissionen von Kohle und Öl zu reduzieren, wenn wir Sicherheit für die Menschen wollen“, sagte etwa der designierte Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström. „Die Zukunft liegt in unseren Händen.“

Der Bericht des Weltklimarates müsse ein Weckruf sein, sagte der Leiter Klimaschutz beim WWF Deutschland, Michael Schäfer. Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch erklärte, es gehe nun um jedes Zehntel, ja sogar jedes Hundertstel Grad vermiedene Erwärmung.“

Auch der Klimaforscher Prof. Mojib Latif, Leiter des Forschungsbereiches Ozeanzirkulation und Klimadynamik im Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, mahnte tiefe Einschnitte an: „Der Bericht sagt sinngemäß, dass wir für den Klimaschutz völlig neue Wege finden müssen. Das heißt übersetzt, dass es bisher de facto gar keinen Klimaschutz gegeben hat. Das kann man auch daran ablesen: Seit sich die Weltpolitik dem Thema Klima widmet – seit Beginn der 1990er-Jahre – sind die weltweiten CO2-Emissionen förmlich explodiert. Sie sind um über 60 Prozent gestiegen“, so Latif.

Was sagt die Bundesregierung?

„Wir dürfen beim Klimaschutz keine Zeit mehr verlieren“, erklärte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD). „Wir müssen den Abschied von Kohle, Öl und Gas hinbekommen.“ Ihr Staatssekretär Jochen Flasbarth sprach mit Blick auf den Bericht von einer „erschütternden Darstellung“. Die Erkenntnis, dass zwei Grad Erderwärmung viel schwerwiegendere Folgen für Millionen Menschen hätten als 1,5 Grad, müsse „handlungstreibend“ sein. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) forderte, das Potenzial der Wissenschaft müsse noch stärker ausgeschöpft werden. Ihr Parlamentarischer Staatssekretär Michael Meister (CDU) nannte den Bericht einen „Weckruf“ für die Politik.

Welche politischen Folgen hat der Bericht für Deutschland?

Deutschland hängt seinen Zielen hinterher, auf nationaler wie auch auf EU-Ebene. Der IPCC-Report befeuert die Debatte um einen Ausstieg aus der Kohle. Ohne ein schnelles Abschalten besonders „schmutziger“ Kohlekraftwerke ist der geforderte rasche Sinkflug bei den Emissionen nach Ansicht vieler Experten nicht zu schaffen. Der Handlungsdruck erhöht sich auch für die Kommission, die bis Ende des Jahres eine Strategie zum Ausstieg aus der Kohleverstromung ausarbeiten soll. Dabei soll es auch ein Konzept für Investitionen in den betroffenen Regionen in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Sachsen geben.

Wie geht es mit den internationalen Klimaverhandlungen weiter?

Der IPCC-Report dient den Delegationen auf der kommenden UN-Klimakonferenz Anfang Dezember in Katowice in Polen als Verhandlungsgrundlage. Zur Entscheidung kommt es jedoch erst 2020: Dann müssen die Vertragsstaaten neue und schärfere Klimaziele auf den Tisch legen. Auch dann erst wird der Rückzug der USA aus dem Weltklimavertrag von Paris formal wirksam. Bis dahin jedoch ist die US-Delegation Teil des Verhandlungsprozesses und kann diesen durch ihr Veto lahmlegen. Als Schrittmacher der Verhandlungen gilt die Europäische Union. Gerechnet wird nun damit, dass die EU-Mitgliedsländer nach dem Erscheinen des Berichts erstmals gemeinsam über ein Null-Emissions-Szenario diskutieren werden. „Die EU wird daran arbeiten, diese Herausforderung anzugehen, und erwartet, dass andere dies ebenfalls tun“, erklärten die Kommissare Miguel Arias Cañete und Carlos Moedas am Montag in Brüssel.