Tunis/Berlin.

Wurde der regimekritische saudi-arabische Journalist Jamal Khashoggi von einem Killerkommando aus Riad ermordet? War es die Rache des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman? Ihm hatte der im US-Exil lebende Khashoggi immer wieder autokratisches Gebaren vorgeworfen. Der Fall des seit Dienstag in Istanbul verschwundenen Publizisten wird jedenfalls immer mysteriöser.

Am Wochenende erklärten türkische Regierungsvertreter gegenüber der „New York Times“ und westlichen Nachrichtenagenturen, ein aus Saudi-Arabien angereister Tötungstrupp habe den Kritiker des 33-jährigen Thronfolgers ermordet und seine Leiche fortgeschafft. 15 saudische Agenten seien am Morgen des Tattages in zwei Privatjets eingeflogen, hätten sich zur gleichen Zeit wie Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul aufgehalten und die Stadt noch am Abend wieder verlassen. Khashoggi hatte das Konsulat aufgesucht, um seine Scheidungspapiere abzuholen. Er wollte seine türkische Verlobte Hatice C. heiraten.

Türkische Ermittler sprechen von „vorsätzlichem Mord“

Sollte sich der Verdacht eines Auftragsmords durch das Königshaus bestätigen, könnte dies das internationale Image Saudi-Arabiens schwer beschädigen. Mohammed bin Salman hatte sich in den vergangenen Monaten bemüht, das konservative Königreich als modernes, aufstrebendes Land zu verkaufen. So ist Frauen seit Juni das Autofahren erlaubt, die Wirtschaft soll sich viel breiter aufstellen – weg von Öl und Gas, hin zu erneuerbaren Energiequellen.

Die türkische Polizei geht Ermittlerkreisen zufolge von der Ermordung Khashoggis aus. „Wir glauben, dass der Mord vorsätzlich geschehen ist und die Leiche anschließend aus dem Konsulat gebracht wurde“, erklärte ein türkischer Insider. Yasin Aktay, ein Berater von Präsident Recep Tayyip Erdogan, sagte dem TV-Sender CNN Turk, die Behörden hätten konkretere Informationen zum Verschwinden Khashoggis. Dieser habe das saudische Konsulat nicht „auf dem normalen Weg“ verlassen. Die saudische Seite wies alle Vorwürfe zurück. Kronprinz Mohammed bin Salman erklärte, Khashoggi habe das saudische Konsulat in Istanbul kurz nach dem Betreten wieder verlassen und befinde sich auch nicht in Saudi-Arabien. Kha­shoggi lebte seit einem Jahr im selbst gewählten Exil in den USA und pendelte zwischen Washington, London und Istanbul. Nach Erkenntnissen der türkischen Polizei gibt es auf keiner der Überwachungskameras rund um das Konsulat eine Spur von Khashoggi.

Nach Informationen des saudischen Whistleblowers Mujtahidd, der seit 2011 immer wieder geheime Details aus den inneren Zirkeln des Königshauses ins Netz stellt, wurde Khashoggi in einer sorgfältig geplanten Aktion gekidnappt und nach Saudi-Arabien gebracht. Als Whistleblower bezeichnet man eine Person, die für die Allgemeinheit wichtige Informationen aus einem geheimen Zusammenhang an die Öffentlichkeit bringt. Die türkische Seite habe zunächst offiziell erklärt, Khashoggi sei noch im Konsulat, um Saudi-Arabien einen gesichtswahrenden Ausweg aus der Staatsaffäre zu ermöglichen. Parallel dazu habe Ankara Riad aufgefordert, den Entführten umgehend nach Istanbul zurückzufliegen und freizulassen.

Mohammed bin Salman hat nach eigenen Angaben in den letzten drei Jahren etwa 1500 Personen verhaften lassen – darunter Frauenrechtlerinnen und Intellektuelle, aber auch populäre Kleriker oder Kritiker seines Wirtschaftskurses. Den Verhafteten drohen Verfahren vor Terrorgerichtshöfen, die oft mit langen Haftstrafen enden.

Im Außenministerium in Berlin wird die neueste Entwicklung mit einem gewissen Unbehagen verfolgt. Die Bundesregierung ist gerade dabei, das angespannte Verhältnis zu Saudi-Arabien wieder ins Lot zu bringen. „In den zurückliegenden Monaten hat es in unseren Beziehungen Missverständnisse gegeben, die in scharfem Kontrast zu unseren sonst starken strategischen Verbindungen mit dem Königreich Saudi-Arabien stehen. Und wir bedauern das aufrichtig.“ Mit diesen Worten erklärte Außenminister Heiko Maas die schwelende diplomatische Krise am Rande der UN-Vollversammlung Ende September in New York für beendet. Er bezog sich dabei auf die Kritik seines Vorgängers Sigmar Gabriel, der Saudi-Arabien im November wegen des Jemen-Kriegs außenpolitisches „Abenteurertum“ vorgeworfen hatte. Der Golfstaat reagierte verärgert und zog seinen Botschafter aus Deutschland ab. Sollte das Königreich in der Khashoggi-Affäre weiter ins Zwielicht geraten, würde dies Schatten auf die vorsichtige Annäherung zwischen Berlin und Riad werfen.