München.

Sie klingelt, die Tür öffnet sich. „Hi! Servus! Ich bin Katharina Schulze von den Grünen“, sagt die Kandidatin und lächelt. „Ich wollte fragen, gehst Du am 14.10. zur Wahl?“ Julian Benold wirkt überrascht, murmelt: „Ja.“ Sie fragt: „Schon entschieden oder kann man noch was tun?“ Er antwortet: „Ja, für Euch.“ Schulze freut sich: „Yeah!“ Sie hebt die rechte Hand, und Benold, immer noch verdutzt, schlägt ein. „Cool, merci, vielen, vielen Dank, noch einen schönen Abend, gell, ciao-ciao, servus, habt’s schön.“ Dann rauscht sie zur nächsten Wohnung.

Früher Abend in München-Neuhausen, Haustürwahlkampf in einem Gebäude mit 47 Wohnungen. Katharina Schulze, 33 Jahre, Spitzenkandidatin der Grünen in Bayern, Fraktionschefin im Landtag, der Vater aus Berlin, die Mutter aus Freiburg, aufgewachsen in der Nähe von München. Was zuerst auffällt: große Augen, breites Lächeln. Schulze sei „charismatisch“, schreibt „Spiegel Online“. Und „Bild“, die Schulze „schlagfertig und erfolgreich“ findet, stellt die Frage: „Wie gefährlich wird diese Grüne für die CSU?“

Am 14. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt, und für die CSU, die 2003 noch 60,7 Prozent einfuhr, sieht es düster aus. In der aktuellen Umfrage von Infratest dimap liegen die Christsozialen bei 33 Prozent. Die Verteidigung der absoluten Mehrheit scheint unerreichbar. Die Grünen stehen mit 18 Prozent auf Platz zwei, vor SPD (elf Prozent) und AfD (zehn Prozent). Schwarz-Grün ist nach dieser Umfrage die einzig mögliche Zweier­koal­ition. Die Grünen könnten sogar in einer Viererkoalition mit SPD, Freien Wählern und FDP regieren – und dann den Ministerpräsidenten stellen. Doch Schulze ist vorsichtig. Sie traut den Umfragen nicht, auch wenn diese seit Wochen stabil sind: „Wir Grüne waren in Bayern noch nie über zehn Prozent. Ich möchte zweistellig werden.“

Schulze führt einen Gute-Laune-Wahlkampf. An Wohnungstüren. Im Dirndl in Bierzelten. Und im Internet. Auf Instragram postete sie im Sommer ein Foto vom Ammersee, auf dem ihre Beine und ihre rosa lackierten Zehen zu sehen sind. „Mittagessen nach meinem Geschmack“, schrieb sie unter ein Bild von einem Spaghettieis. Sie setzt auf typische Grünen-Themen: pro Europa, für Bürgerrechte und Umweltschutz. Wie so oft bei den Grünen gibt es auch im bayerischen Wahlkampf eine Doppelspitze. Aber Ludwig Hartmann, 40, geht neben Schulze ein bisschen unter.

Gute Laune funktioniert in diesem Wahlkampf auch, weil es Rückenwind aus Berlin gibt. Die neuen Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck haben bei den Grünen eine Aufbruchstimmung ausgelöst. Davon können CSU und SPD nur träumen. Ministerpräsident Markus Söder und SPD-Spitzenkandidatin Natascha Kohnen kommen nicht aus der Defensive, werden von schlechten Nachrichten aus Berlin eingeholt. Die große Koalition steckt in der Dauerkrise. Erst der Streit um den „Masterplan“ von Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer, dann verspielten CSU und SPD bei der Ablösung des Verfassungsschutzchefs Hans-Georg Maaßen Vertrauen. Die CSU ist hypernervös, hat Angst vor dem Verlust der absoluten Mehrheit, aus der sie ihren Machtanspruch in Berlin ableitet.

Schulze will mit allen Parteien sprechen – außer der AfD

„Die Stärke der Grünen hat auch mit der Schwäche der CSU zu tun“, sagt Manfred Güllner, Chef des Forsa-Instituts. Die CSU sei früher die modernste Volkspartei Europas mit einer großen Bindekraft gewesen, der Slogan „Laptop und Lederhose“ habe gepasst. Doch das ist vorbei. Das rechte Spektrum habe die CSU an die AfD verloren, das linksliberale Spektrum an die Grünen, sagt Güllner. „Die Grünen profitieren zudem von der Schwäche der SPD.“ Güllner sieht aber auch, dass die guten Umfragen für die Grünen mit der 33 Jahre alten Spitzenkandidatin zu tun haben. Für ihn gehören Schulze, Baerbock, Habeck oder der ehemalige Grünen-Chef Cem Özdemir zu einem neuen, pragmatischen Typus von Grünen-Politikern. „Die Menschen mögen diesen Typus“, sagt Güllner. Menschen aus allen Schichten, die früher die CSU gewählt hätten, hätten jetzt Sympathien für die Grünen.

An einer Tür steht der Name Schöntag. Schulze klingelt und sagt: „Schöntag, das ist auch ein netter Name. Schönen Tag, Herr Schöntag!“ Nur macht bei Schöntag leider niemand auf. Wenn die Menschen keine Zeit haben, weil das Essen auf dem Tisch steht, sagt Schulze nur: „Hauptsache wählen gehen, und nicht die AfD.“

Als Schulze aus der Haustür geht, bilanziert ihr Wahlkampfhelfer Georg Nitsche: „47 Wohnungen und 15 Kontakte.“ Drei Menschen haben gesagt, dass sie die Grünen wählen. Diskussionen gab es kaum, nur einmal wurde ein paar Minuten über Radwege debattiert.

Schulze ist ehrgeizig, was sie nicht versteckt. Auch mit dem Wort Macht hat sie, anders als manche Grüne, kein Problem. „Macht per se ist ja nichts Schlimmes“, sagt Schulze. „Man kann Macht dazu nutzen, das Leben von sehr vielen Menschen besser zu machen.“

Doch Macht ist auch kompliziert. Die Grünen wollen, dass an ihnen niemand mehr vorbeikommt. Auch die CSU nicht. Keine Koalition sei ausgeschlossen, sagt Schulze, man spreche mit allen Parteien außer der AfD. „Mit uns kann man immer über eine ökologische und gerechte Politik reden, nicht aber über eine antieuropäische und autoritäre.“ Was sie nicht sagt: Die Grünen halten zumindest Teile der CSU für antieuropäisch und autoritär.

Die Frage ist, wer nach der Wahl bei der CSU noch steht. Müssen Seehofer und Söder gehen? Und wird der eher liberale CSU-Flügel mehr Einfluss gewinnen? Es ist das Szenario, auf das die Grünen hoffen. Auf jeden Fall muss es schneller gehen als im Bund: Die Verfassung sieht zügige Koalitionsverhandlungen vor, der Ministerpräsident muss spätestens vier Wochen nach dem Wahltermin gewählt werden, sonst gibt es Neuwahlen. Für die Grünen könnten es vier harte Wochen werden.