Berlin/Oslo.

und Diana Zinkler

In Nadia Murads Kleidung liegt keine Verunsicherung, kein Zweifel. Als wir sie treffen, trägt die junge Frau goldene Turnschuhe, eine enge Jeans, eine schicke Strickjacke. Still, aber stilsicher, so tritt sie auf. Kosmetikerin ist der Beruf, den sie am meisten liebt, sagt sie. Kosmetikerin war ihr Lebensziel, als sie noch Teenager war. Jetzt ist die 25 Jahre alte Murad Sonderbotschafterin der Vereinten Nationen, sie hält Reden als Aktivistin für Menschenrechte. Und seit gestern ist sie ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis.

Eine unglaubliche Karriere, ein weiter Weg – doch wünscht man ihr am Ende, dass Nadia Murad all das nicht hätte erleben müssen.

2014 eroberten die Terroristen des selbst ernannten „Islamischen Staates“ weite Teile von Syrien und Irak. Die Männer kamen auch in den Nordirak, auch in das Dorf, in dem Murad mit ihrer Familie lebte. Es ist das Gebiet der Jesiden, einer Volksgruppe der Kurden. Heute werfen die Vereinten Nationen den Mitgliedern des IS Völkermord vor. Mehrere Tausend Jesiden töteten die Extremisten, Hunderte Männer wurden hingerichtet, Tausende Frauen verschleppten die IS-Kämpfer und hielten sie als Sklavinnen. Auch Nadia Murad. Drei Monate war sie gefangen. Nach einem Fluchtversuch peitschten die IS-Peiniger sie aus, eine Nacht überlassen die Terroristen die junge Frau den Hauswächtern zur Rache. Danach wurde Murad weiterverkauft und an einem Checkpoint von so vielen Männern vergewaltigt, bis sie bewusstlos war. „Irgendwann gibt es nur noch die Vergewaltigung und sonst nichts mehr. Der eigene Körper gehört einem nicht mehr und man hat die Energie verloren zu reden, sich zu wehren oder über die Welt da draußen nachzudenken“, sagt Murad.

Nach drei Monaten konnte Murad fliehen. Mittlerweile lebt sie in Baden-Württemberg. Sie ist das Gesicht der Jesiden geworden, erzählt auf Podien rund um den Globus von den Verbrechen an den Menschen im Irak. Immer mit ernster, ruhiger Stimme. Gemeinsam mit ihrer Anwältin Amal Clooney will sie erreichen, dass die IS-Terroristen sich für ihre Taten verantworten müssen und die Verbrechen an den Jesiden von allen Ländern als Völkermord anerkannt werden. Noch immer gebe es viele jesidische Binnenflüchtlinge, viele könnten auch heute noch nicht sicher leben. In einem Buch hat Murad ihre Geschichte aufgeschrieben. Sie ist berühmt. Andere haben das Gleiche erleben müssen und bleiben unbekannt. Murad stellt sich seit Monaten ins Rampenlicht, wird für ihren Mut bewundert. Mit ihrem Gesicht, das weiß Nadia Murad, bleiben auch die Verbrechen des IS sichtbar.

Was den Mädchen und Frauen der Jesiden angetan wurde, ist kein Einzelfall. Sexualisierte Gewalt ist in der Geschichte der Kriege eine brutale Waffe. Wo gekämpft wird, wird oftmals vergewaltigt. Recht und Schutz sind außer Kraft gesetzt. Besonders in den Konflikten in Afrika sind vor allem Mädchen und Frauen Opfer von Vergewaltigungen und Missbrauch.

Mit dem Friedensnobelpreis wird deshalb nun auch der kongolesische Arzt Denis Mukwege geehrt. Der Gynäkologe Mukwege leitet in seiner Heimat, der Demokratischen Republik Kongo, ein Krankenhaus. Dort operiert der 63 Jahre alte Arzt im Ostkongo vergewaltigte und schwer verstümmelte Frauen. Der Preisträger habe sich zudem immer wieder gegen die Straffreiheit bei Massenvergewaltigungen eingesetzt und sowohl die eigene als auch andere Regierungen kritisiert, nicht genug gegen Gewalt gegen Frauen im Krieg zu unternehmen, erklärte das Nobelkomitee. „Er hat sein Leben riskiert, um Frauen dabei zu helfen, Gräueltaten zu überleben“, sagte der Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, Dan Smith.

Als die Jury die Preisträger bekannt gibt, schläft die junge Jesidin Nadia Murad noch. Sie ist gerade in den USA – und setzt sich dort für Flüchtlinge aus dem Nordirak ein, ihrer alten Heimat. Heute lebt sie in der Nähe von Stuttgart und hat sich vor Kurzem verlobt.