Berlin.

Heute ist Einsendeschluss. Bis zum 5. Oktober sollen die Verfassungsschützer der Länder ihre Informationen und Einschätzungen über die Alternative für Deutschland (AfD) an die Zentrale in Köln übermitteln. Mit der Frist rückt die Entscheidung näher, ob die rechtspopulistische Partei beobachtet wird. Sie soll laut Kölner Bundesamt bis Jahresende fallen.

Der scheidende Präsident Hans-Georg Maaßen hat sich auf der Tagung der Inlandsgeheimdienste Ende September von seinen Länderkollegen bescheinigen lassen, dass seine Behörde „den im Jahr 2018 eingeleiteten Prozess sachgerecht und im Rahmen des im Verfassungsschutzverbund abgestimmten Vorgehens betreibt“. Maaßen war das wichtig, war er doch im Sommer wegen Kontakten zur AfD in die Kritik geraten. Er ist nur noch auf Abruf im Amt – derzeit im Urlaub – und soll Sonderbeauftragter des Bundesinnenministers werden, sobald seine Nachfolge geregelt ist.

Seit mehr als einem Jahr wird gefordert, die AfD zu beobachten. Die Rufe kommen insbesondere aus der Opposition und den Ländern. Das würde bedeuten, dass der Inlandsgeheimdienst mehr als nur öffentlich zugängliche Informationen über die Rechtspopulisten sammeln und „nachrichtendienstliche Mittel“ einsetzten darf, konkret: die Kommunikation abhören und V-Leute in den Reihen der Partei führen.

Sachsen lehnt eine Beobachtung ab

Im März hatte Maaßen einen Prüfprozess eingeleitet. Die Verfassungsschützer suchen seither nach Anhaltspunkten „für Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“ – die Voraussetzung für eine Beobachtung. Dafür sollten die Länder ihre Informationen und Positionen zusammenstellen. Im November steht eine Gesamtschau auf einer Amtsleitertagung an, im Dezember der endgültige Beschluss. Formal ist das Bundesamt unabhängig und nicht weisungsgebunden. Realistisch ist aber, dass die Behörde sich mit den Landesämtern und dem Bundesinnenministerium abstimmt.

Der Länder sind uneins. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) ist überzeugt, dass die AfD Grenzen längst überschritten hat, „wenn ich an Björn Höcke und andere denke“. Sein nordrhein-westfälischer Kollege Herbert Reul (CDU) gibt zu bedenken, „so etwas macht ja nur Sinn, wenn es auch vor den Gerichten hält. Sonst wird eine solche Aktion schnell zum Bumerang.“ Zwar habe sich die Partei in den vergangenen Jahren konstant nach rechts entwickelt, „aber sie ist immer noch ein ziemlich heterogener Haufen“: Auf der einen Seite die relativ bürgerlichen Mitglieder, auf der anderen die Anhänger eines Björn Höcke, „die Seit an Seit mit Pegida durch Chemnitz marschieren und den öffentlichen Schulterschluss mit Extremisten suchen“. Außerdem gebe es ein ziemliches West-Ost-Gefälle. „Grob kann man sagen: je weiter östlich der Landesverband, desto brauner.“

In Bremen und Niedersachsen ist nur die Jugendorganisation der AfD ein Fall für den Geheimdienst. Sachsen lehnt eine Beobachtung der Partei ab. Baden-Württemberg prüft seit Monaten – und kam bisher zu keinem Ergebnis. Selbst das rot-rot-grün regierte Thüringen konnte sich nur dazu durchringen, die AfD zum „Prüffall“ zu erklären – bloß eine Vorstufe zur „Beobachtung“.

Der vom AfD-Vorstand als Sonderermittler im Bereich Extremismus eingesetzte Abgeordnete Roland Hartwig sagte der „FAZ“: „Sollte der Verfassungsschutz die AfD wider Erwarten ganz oder teilweise zum Prüffall erklären, wäre meine Empfehlung, dass sich die Partei mit allen in Betracht kommenden Mitteln dagegen verteidigt.“

Das rechte Sammelbecken „Patriotische Plattform“ (PP), eine Vorfeldorganisation der AfD, will dem Verfassungsschutz zuvorkommen und seine Aktivitäten einstellen. Hans-Thomas Tillschneider, Vorsitzender der PP und Landtagsabgeordneter in Magdeburg, sagte dem „Spiegel“, die PP habe sich überlebt. Sie sei 2014 gegründet worden, um zu verhindern, dass sich die AfD unter ihren Gründern Bernd Lucke und Frauke Petry zu einer allzu gemäßigten „Scheinalternative“ entwickle. „Dieses Ziel ist schon lange erreicht.“ Bereits am 20. August hatte der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in einem Schreiben an Maaßen dafür geworben, die PP beobachten zu lassen. Dem Brief legte das Düsseldorfer Innenministerium einen 30-seitigen Vermerk mit belastendem Material bei. „Die in dem Vermerk beschriebenen hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung sind bedeutsam“, heißt es im Brief.

Nordrhein-Westfalen weist die PP dem Rechtsextremismus zu, aber sei sie keine gewaltorientierte Strömung. Die NRW-Verfassungsschützer haben vier Kritikpunkte: Erstens verfolge die PP das Ziel einer ethnisch homogenen Gesellschaft. „Diese Forderung verstößt gegen die Grundwerte unserer Verfassung.“ Der Verfassungsschutz zitiert Jens Meier, Bundestagsabgeordneter und Vorstandsmitglied der PP: Die Herstellung von Mischvölkern, um die nationalen Identitäten auszulöschen, sei „einfach nicht zu ertragen“. Reul ist entsetzt: „Das ist purer Rassismus. Sollen wir da einfach zusehen und nichts tun?“

Zweitens propagiere die PP die Etablierung eines autoritären Staatsverständnisses und beziehe sich auf einen der „geistigen Wegbereiter der nationalsozialistischen Diktatur“: auf den Staatsrechtler Carl Schmitt. Drittens: Unter den Vorstandsmitgliedern „finden sich bekannte Rechtsextremisten, die bereits vorher in anderen rechtsex­tremistischen Organisationen tätig waren“. Viertens habe die PP „offene Sympathie für rechtsextremistische Akteure wie die Identitäre Bewegung.“ Von der NPD, so ein ehemaliges Vorstandsmitglied der PP, „unterscheiden wir uns vornehmlich durch unser bürgerliches Unterstützerumfeld, nicht so sehr durch Inhalte“. Zwar ist die PP eine eigenständige Organisation. Aber ihr kann nur beitreten, wer Mitglied der AfD ist. Für die Verfassungsschützer könnte die PP eine Art Minimalziel und die Vorstufe zu einer Beobachtung der gesamten Partei sein.