Berlin. Bei einem raschen Ende der Ära Merkel und Neuwahlen sieht sich Olaf Scholz als Kanzlerkandidat – ihm schadet aber in der Partei gerade ein Fernsehinterview

    Die Sache mit der roten Lederjacke hat sich erledigt. Volker Kauder, der gestürzte Chef der Unionsfraktion im Bundestag, saß im Januar mit Andrea Nahles zusammen und versprach ihr, falls das mit der großen Koalition klappt, werde er zu Hause in Tuttlingen seinen „Schatz“ aus dem Schrank holen und in Berlin den Sozis vorführen. Nun ist Kauder von den eigenen Leuten politisch eingemottet worden, und mit ihm die rote Lederjacke.

    Bei der SPD reibt man sich verwundert die Augen. Als am Dienstag die SMS die Runde machte, dass der Finanzexperte Ralph Brinkhaus Merkels treuen Vasallen Kauder entmachtet hat, standen SPD-Bundesminister neugierig auf dem Reichstagsflur, um die Turbulenzen bei den Nachbarn von CDU und CSU zu beobachten. In der Regel ist es ja die SPD, die ihrem eigenen Spitzenpersonal in die Beine grätscht. Die Partei- und Fraktionsvorsitzende Nahles hat das gerade zu spüren bekommen. Im Fall Maaßen stand sie mit dem Rücken zur Wand. Erst mit dem öffentlichen Eingeständnis, sie und die anderen Parteichefs hätten einen kapitalen Fehler gemacht, stabilisierte Nahles ihren Vorsitz und stellte die GroKo-Gegner in der SPD noch mal ruhig. Nahles ist sich mit Merkel einig, dass die Koalition nach Asyl- und Maaßen-Chaos nun aus dem Selbstbeschäftigungsmodus herausmuss, einen Neustart braucht.

    Der SPD-Fraktionsmanager Carsten Schneider ist sich sicher, dass Brinkhaus „größtes Interesse hat, dass diese Bundesregierung stabil arbeitet“. Brinkhaus sei kein Revoluzzer, sondern ein verlässlicher Finanzpolitiker: „Da weiß man, woran man ist.“ Auch Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel warnt seine Partei davor, ein jähes Ende Merkels herbeizusehnen. Er halte nichts davon, Kauders Sturz zur Regierungskrise hochzustilisieren. Deutschland benötige eine starke Regierung, um Europa stabil zu halten: „Gerade deshalb wird Angela Merkel noch gebraucht.“

    Was aber passiert, wenn das rasante Tempo, in dem politische Gewissheiten, Autoritäten und Volksparteien erodieren, anhält, und die Kanzlerin im Dezember beim CDU-Parteitag in Hamburg abdankt oder der nächste Krach die Koalition endgültig sprengt?

    Eine schnell heraufziehende Kanzlerinnendämmerung wäre für die bei 17 Prozent dümpelnde SPD finanziell und organisatorisch eine Herausforderung. Mit einem Ende der Ära Merkel hofft die SPD zwar, an goldene Zeiten anzuknüpfen und das 2005 von Gerhard Schröder verlorene Kanzleramt zurückzuerobern. Aber wie würde die Partei überhaupt auf eine vorzeitige Abdankung Merkels reagieren? Das SPD-Establishment neigt dazu, eine(n) Nachfolger(in) aus der CDU im Bundestag mitzuwählen, um die Koalition fortzuführen und Neuwahlen zu verhindern. Das hängt aber stark vom CDU-Kandidaten ab. Eine Annegret Kramp-Karrenbauer wäre in der SPD satisfaktionsfähiger als ein Jens Spahn. Sollte es zu Neuwahlen kommen, sieht sich Vizekanzler Olaf Scholz auf dem Platz des SPD-Spitzenkandidaten – allerdings wird dessen jüngstes, sprödes ZDF-Interview mit Marietta Slomka in der Partei nicht als Bewerbungsvideo, sondern eher als „Rückfall in Scholzomat-Zeiten“ bewertet.

    Nahles selbst ist wegen schlechter Popularitätswerte und ihrer Maaßen-Fehleinschätzung nicht ernsthaft im Rennen. Der kurze Höhenflug von Martin Schulz im Vorjahr zeigte, dass die SPD mit der richtigen Person durchaus ein Potenzial von 20 Prozent plus X heben könnte. Die Frage in einer Zeit nach Merkel wird sein, ob die SPD auf Altbewährtes wie Scholz setzt oder den Mut besitzt, ihre Mitglieder über Kandidaten wie etwa Franziska Giffey, Katarina Barley, Manuela Schwesig oder Kevin Kühnert entscheiden zu lassen.