Berlin.

Es ist eine Geste, eine, die in der Politik selten vorkommt: Kanzlerin Angela Merkel hat sich bei den Bürgern für ihr Verhalten in der Affäre um Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen entschuldigt. „Wenn ich mich persönlich frage, dann habe ich mich zu sehr mit der Funktionalität und den Abläufen im Bundesinnenministerium beschäftigt, aber zu wenig an das gedacht, was die Menschen zu Recht bewegt, wenn sie von einer Beförderung hören. Und dass das geschehen konnte, das bedauere ich sehr.“

Merkel will Heft des Handelns nicht aus der Hand geben

Die CDU-Vorsitzende sprach die denkwürdigen Sätze am Montagmorgen, nachdem die Parteichefs – sie selbst, SPD-Frontfrau Andrea Nahles und CSU-Chef und Bundesinnenminister Horst Seehofer – am Sonntagabend eine Einigung in der Affäre erzielt und ihre Entscheidung, Maaßen zum Staatssekretär zu befördern, einkassiert hatten.

Der Beamte Maaßen wird nun Sonderberater von Innenminister Seehofer im Rang eines Abteilungsleiters, bekommt nicht mehr Geld und wird als Präsident des Inlandsgeheimdienstes abberufen. Das hatte die SPD vehement gefordert, nachdem Maaßen die Echtheit eines Videos mit ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz öffentlich bezweifelt hatte, ohne Beweise vorzulegen.

Die Kanzlerin räumte in ihrem Statement – auf den Tag genau ein Jahr nach der Bundestagswahl – zudem ein, dass sich ihre schwarz-rote Regierungsmannschaft (nach den beinahe endlosen Koalitionsverhandlungen) „auch zu sehr mit uns selbst beschäftigt“ habe. Das müsse sich nun ändern.

Merkel verlor bei ihrem knapp vierminütigen Auftritt in der CDU-Zentrale kurz den Faden – etwas, was ihr sonst selten passiert. Die Kanzlerin wollte eine Botschaft aussenden: Ich habe verstanden. Und ich nehme das Heft des Handelns wieder in die Hand.

Mit Blick auf das Verhältnis zu Seehofer kann man noch mehr herauslesen: Dass sie sich zu sehr mit den Abläufen im Innenministerium beschäftigt habe, bedeutet übersetzt: Merkel hat zu viel Rücksicht auf Seehofer genommen und dies als Fehler erkannt. Es ist ein Signal an ihren CSU-Minister, der am Sonntag noch erklärt hatte, die Koalition habe zu keinem Zeitpunkt auf der Kippe gestanden. Merkel weiß, wie sehr der Krach mit der CSU im Sommer um die Zurückweisung von Flüchtlingen an Grenzen und nun der erneute Streit um Maaßen ihrem eigenen Ansehen geschadet haben. Sie wirkte, als hätte sie nicht mehr die Kraft, ihre Politik konsequent durchzusetzen. Merkel merkt, dass es in ihrer letzten Amtszeit nicht mehr ausreicht, still im Hintergrund Fäden zu ziehen. Durch die Herausforderung der AfD, die in einer Umfrage zur zweiten Kraft vor der SPD aufgestiegen ist, aber auch durch das persönliche Duell mit Seehofer muss sie sich neu sortieren.

Seehofer gilt auch im Kanzleramt als unberechenbar

Merkel will dabei unbedingt vermitteln, dass sich ihre Regierung auch noch mit etwas anderem beschäftigen kann als nur mit sich selbst. Die Welt wartet nicht auf diese Koalition, jeder Fehler zahlt bei der AfD ein, dazu bewegen die Bürger soziale Fragen wie bezahlbare Mieten, die Pflege und schnelles Internet.

Am Rande der Maaßen-Affäre gab es ein interessantes Bild. Als Merkel am Freitagabend auf den Brief von Andrea Nahles reagierte, in dem diese bat, noch einmal über Maaßen zu reden, trat Merkel im Münchner Hotel Kempinski vor die Presse. Dort traf sie an diesem Abend auf den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Mit ihm absolvierte sie einen Auftritt vor Münchner Bürgern aus der Kulturszene auf Einladung einer Münchner Filmproduzentin. Es war kein Geheimtreffen, aber auch kein öffentlich angekündigter Termin. Es zeigt jedoch eines: Auch die CDU mitsamt ihrer Vorsitzenden sucht den Kontakt zum neuen starken Mann der CSU. Ganz bewusst.

Der Innenminister gilt auch im Kanzleramt mittlerweile als komplett unberechenbar. Doch Merkel wird ihn nicht ablösen, Seehofers Achillesferse ist vielmehr die eigen Partei in Bayern. Wenn es zu einem Desaster bei der Landtagswahl am 14. Oktober kommt, die CSU irgendwo zwischen 35 und 38 Prozent landet, dann wird schnell nach den Schuldigen gesucht.

Und mit aller Wahrscheinlichkeit wird Söder auf Seehofer zeigen, der müsste dann um den Verbleib an der CSU-Spitze kämpfen. Sollte ihm das nicht gelingen, dann wird er auch als Innenminister schwer zu halten sein, so das Kalkül seiner Gegner. Doch Seehofer hat in der Maaßen-Affäre nochmal unter Beweis gestellt, dass er sich in politischen Ränkespielen auskennt und er vor Merkel nicht klein beigeben will. Dass er in ein zweites Treffen nach der ersten umstrittenen Einigung auf den Staatssekretärsposten eingewilligt hat, war vor allem dem Druck der wahlkämpfenden CSU geschuldet.

Da passt es ins Bild, dass die SPD großen Wert darauf legt, die neue Maaßen-Lösung sei eine persönliche Entscheidung des Innenministers gewesen: „Herr Seehofer wird sich vor seinen Wählern verantworten müssen“, sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil nach der Sitzung des Parteivorstandes. Dort bekam Parteichefin Nahles viel Zustimmung und viele Respektbekundungen. Die 48-Jährige war es ja gewesen, die als erste einen Fehler eingestanden hatte – allerdings auch mit dem Motiv, ihren eigenen Vorsitz zu retten. Am Montag übrigens meldet sich Nahles selbst nicht zu Wort. Auf dem Weg zur Fraktionssitzung muss sie sich auch noch mit Sigmar Gabriel, ihrem ewigen Rivalen, den Lift im Reichstag teilen. Ihrem Vor-Vorgänger wären solche Patzer wie in der Maaßen-Affäre nicht unterlaufen, da sind sich in der Partei ausnahmsweise die meisten einig.

Die Lage der SPD, die sich eher Richtung 15 denn 20 Prozent zubewegt, bleibt fragil. Das Lager jener Genossen, die die große Koalition als Todesspirale begreifen, fühlt sich gestärkt. Juso-Chef Kevin Kühnert, dessen Forderung, Maaßen in den Ruhestand zu schicken, nicht erfüllt wurde, sitzt Nahles weiter im Nacken. Die drei Parteichefs hätten zwar den „Super-GAU“ verhindert. Die SPD aber müsse nun eigene Schmerzgrenzen für den Fortbestand der GroKo definieren – nach Entspannung hört sich das nicht an.

Merkel und Nahles immerhin sind sich einig, dass die Koalition aus dem Hysteriemodus heraus muss. Die Kanzlerin will die Koalitionsrunde künftig öfter tagen lassen, damit die Bürger sehen, die tun was – wie am 1. Oktober, um eine lange überfällige Diesel-Lösung zu finden.