Luxemburg.

Auf dem Kirchberg hoch über der City von Luxemburg residiert der Europäische Rechnungshof. Der Jurist und frühere Düsseldorfer CDU-Europaabgeordnete Klaus-Heiner Lehne ist seit zwei Jahren Präsident der Kontrollbehörde, die über die ordentliche Verwendung der jährlich rund 140 Milliarden Euro aus dem EU-Haushalt wacht. Im Interview erklärt der 60-jährige Lehne, was dran ist an Verschwendungsvorwürfen – und was ihm besonders Sorgen macht.

Herr Präsident, von Altkanzler Schröder stammt der Vorwurf, die EU „verbrate“ das Geld der Mitgliedsstaaten. Schröder hat das später korrigiert, aber der Vorwurf der Verschwendung in der EU hält sich. Was sagt der oberste Rechnungsprüfer: Ist da was dran?

Klaus-Heiner Lehne: Verbraten – diesen Vorwurf kann der Rechnungshof nicht bestätigen. In den zurückliegenden 25 Jahren hat sich der Umgang der EU mit den Geldern gewaltig verbessert. Beim Einhalten der Regeln ist die EU mindestens auf dem Niveau der Mitgliedstaaten. Die Fehlerquote war zuletzt auf 3,1 Prozent gesunken. Wir erwarten, dass 2017 die Tendenz weiter positiv ist, Genaueres können wir bald in unserem Jahresbericht sagen. Auf regelrechten Betrug stoßen wir im Jahr in ein bis zwei Dutzend Fällen.

Wo sind die größten Defizite?

Die meisten Fehler passieren bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Die EU-Regeln sind sehr kompliziert. Wir appellieren an den Gesetzgeber: Macht einfaches, verständliches Recht.

Regeleinhaltung heißt noch nicht, dass Geld sinnvoll verwendet wird ...

Das prüfen wir jetzt verstärkt. Wir finden schon viele EU-Investitionen, die nicht nachhaltig und effizient sind. Ein Beispiel: Der Ausbau des transeuropäischen Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetzes, den die EU mit Milliarden fördert, ist nach unserer Feststellung teilweise nicht sinnvoll – zu teuer, zu langsam und unkoordiniert. Auch bei der Förderung von Hafenanlagen haben wir viel Kritikwürdiges gefunden. Mitunter investiert die EU in Bereiche, in denen die Mitgliedstaaten selber nur unzureichend die notwendigen ergänzenden Maßnahmen ergreifen. Oder es wird Konkurrenz zu funktionierenden Einrichtungen gefördert, deren Wirtschaftlichkeit plötzlich gefährdet ist.

Umgekehrt bleiben auch Milliarden liegen.

Diese Entwicklung macht uns richtig Sorgen. Die riesigen Rückstände sind ein großes Problem. Die Summe der nicht abgerufenen Mittel für EU-Förderprogramme ist auf den Rekordstand von 270 Milliarden Euro gestiegen. Die Gelder sind von der EU zugesagt, werden aber nicht ausgegeben. Wir haben die Kommission gemahnt, den Berg abzubauen – stattdessen wird er immer größer und ist nun doppelt so groß wie ein EU-Jahresetat.

Was läuft schief?

Betroffen sind verschiedene Staaten, auch zum Beispiel Italien. Sie können größere Teile der ihnen zugedachten Fördergelder nicht nutzen. Zum Teil werden die Bedingungen nicht erfüllt. Oder die Staaten haben gar keine Projekte, die den Förderkriterien entspreche, oder sie bringen die Kofinanzierung nicht zustande. Teilweise konnten die Staaten nicht einmal zuständige Verwaltungsbehörden benennen.

Die EU plant also viele Milliarden ein, um bestimmte Ziele zu erreichen, und am Ende passiert nichts?

Das Geld kann dann nicht eingesetzt werden. Die Mittel sind festgelegt und können größtenteils nicht umgeschichtet werden. Die fehlende Flexibilität im EU-Haushalt ist auch sonst ein großes Problem. Der Etat ist weitgehend fixiert über einen Zeitraum von sieben bis zehn Jahren, Änderungen sind kaum möglich. Der Kommunismus ist schon an einem Fünf-Jahres-Plan gescheitert – wir machen einen Sieben-Jahres-Plan. Das führt dazu, dass der EU-Haushalt auf neue Krisen – Migration, Finanzkrise und was noch kommen mag – selbst nicht die nötigen Antworten geben kann. Das Geld ist einfach nicht da, es ist ja festgeschrieben.

Aber die EU handelt doch ...

Es entstehen heikle Mischfinanzierungs-Modelle: Ein bisschen nimmt man aus dem EU-Haushalt, die große Masse kommt aus den nationalen Haushalten – so entsteht eine Galaxie von Schattenhaushalten rund um den eigentlichen EU-Etat. Damit geht jede Transparenz und Kontrollmöglichkeit auch für die Parlamente verloren. Das ist kein Zustand. Wir brauchen mehr Flexibilität im EU-Haushalt, um schnell und problemlos Prioritäten wechseln zu können. Und wir müssen die Schattenhaushalte zurückführen.

Gerade wird der neue Sieben-Jahres-Plan der EU ab 2021 beraten. Bei der Agrarpolitik und der Regionalförderung soll leicht gekürzt werden – aber es bleiben die beiden größten Brocken im EU-Haushalt mit fast 750 Milliarden Euro über die sieben Jahre. Was ist Ihr Rat?

Wir Rechnungsprüfer haben Zweifel, dass die Zielsetzung in der Agrarpolitik noch den Vorgaben in den Verträgen entspricht. Massive Strukturveränderungen in der Landwirtschaft haben dazu geführt, dass die klassische Aufgabe der Landschaftspflege durch bäuerliche Betriebe in bestimmten Regionen unzureichend erfüllt wird. Die Betriebe sind in der Tendenz immer größer geworden, zum Teil haben wir eine Agrarindustrie, in der sogar Aktiengesellschaften tätig sind. Die Förderung solcher Betriebe in diesem Umfang, ohne dass es Kappungsgrenzen gibt, macht wenig Sinn. Auf der anderen Seite werden die Umweltschäden, die durch die Agrarindustrie entstehen, zum Teil mit EU-Programmen wieder bekämpft.

Und die Konsequenz?

Man muss die Agrarförderung viel stärker auf kleine und mittelständische Betriebe konzentrieren. Auch im Bereich der Struktur- und Regionalfonds ist eine stärkere Fokussierung auf konkrete Ziele notwendig. Haushaltskommissar Oettinger geht da im Prinzip schon in die richtige Richtung. Die Effizienz muss stärker im Vordergrund stehen, die Investitionen müssen auch sinnvoll sein. Wir müssen deshalb bei den großen Bereichen umschichten.