Salzburg. EU-Gipfel in Salzburg ist erste große Bewährungsprobe für Österreichs Kanzler Kurz – Fortschritte, aber kein Durchbruch im Migrationsstreit

    Streit um die Flüchtlingspolitik lag in der Luft, aber Gastgeber Sebastian Kurz hatte wenigstens für eine schöne Kulisse gesorgt: Zum Eröffnungsdinner des EU-Gipfels bat der österreichische Kanzler die Regierungschefs am Mittwochabend in die weltberühmte Felsenreitschule, den Blick auf die Festung Salzburg inklusive. Die Bilder aus Salzburg würden „um die Welt gehen“, hatte der selbstbewusste Kurz im Vorfeld geschwärmt, weshalb er auch für den weiteren Gipfel-Verlauf eine perfekte Inszenierung vorbereitete: Getagt wird im herrschaftlichen Mozarteum, fürs Familienfoto bittet Kurz am Donnerstagvormittag in den Garten von Schloss Mirabell.

    Schöne Bilder sind also garantiert bei der ersten außenpolitischen Bewährungsprobe des forschen Regierungschefs. Dass die Feuertaufe als amtierender EU-Ratsvorsitzender auch inhaltlich so glanzvoll abgehen würde, daran hat Kurz selbst Zweifel: „Es gibt deutlich zu viele Spannungen in der EU“, konstatiert er. Bei der Flüchtlingspolitik sind die Fronten so verhärtet, dass auch der 32-jährige Wiener „Wunderknabe“ keinen umfassenden Durchbruch verkünden kann. Und beim Thema Brexit spielen die EU-Regierungschefs auf Zeit: Die britische Regierungschefin Theresa May drängte ihre Kollegen beim Abendessen zwar zu Zugeständnissen. Doch bevor May ihren Tory-Parteitag Anfang Oktober nicht überstanden hat, werde es substanziell keine Fortschritte geben, hieß es.

    Stattdessen handelte sich May nur abermals Absagen zu entscheidenden Punkten ihrer Vorschläge ein. Ein Rückschlag für May. Nicht für Kurz. Der „Alpen-Macron“, wie ihn Brüsseler Spitzenbeamte halb ironisch, halb bewundernd nennen, hat für seine Erfolgsmeldung schon gesorgt: Der Richtungswechsel hin zu einer härteren Gangart in der europäischen Migrationspolitik, die stark auf Abschottung setzt, ist für ihn das größte Anliegen während des sechsmonatigen Ratsvorsitzes – vielleicht sogar das einzige, wie Kritiker unter den EU-Diplomaten argwöhnen. Einiges hat Kurz schon erreicht, in Salzburg lässt er nun den neuen Kurs für stärkeren Außengrenzschutz absegnen. Druckfrische Gesetzentwürfe der EU-Kommission, die Grenz- und Küstenwache Frontex auf 10.000 Beamte aufzustocken und mit mehr Kompetenzen auszustatten, zugleich die Abschieberegeln zu verschärfen, sind eine Steilvorlage für den konservativen Kanzler. „Wir müssen im Kampf gegen Schlepperei effizienter werden. Ein Jahr wie 2015 darf sich nicht wiederholen“, sagt er.

    Unter den Regierungschefs wurden Diskussionen erwartet, einige wittern neue finanzielle Verpflichtungen und haben Zweifel, ob für 10.000 Beamte überhaupt Verwendung ist. Aber die große Linie ist unstrittig, zumal die Kommission in ihrem Vorschlag so vorsichtig war, Frontex-Einsätze auch künftig an das Einverständnis und die Letzt-Verantwortung des jeweiligen Mitgliedstaates zu knüpfen. Die Schimpfkanonade von Ungarns Premier Viktor Orbán, er werde keine „Söldner aus Brüssel“ ins Land holen, läuft da ins Leere – niemand wird Orbán zwingen.

    Für Gastgeber Kurz ist der Gesetzesvorstoß der Kommission ein Geschenk: Beim Außengrenzschutz darf er sich als Taktgeber feiern. Und angesichts der kleinen Scharmützel auch als „Brückenbauer“ verstehen, was ja erklärtermaßen seine Wunschrolle ist. Doch jenseits dessen hat Kurz das Problem, dass die geweckten Erwartungen in den Kurswechsel der Migrationspolitik schwer zu erfüllen sind. Der Kanzler war Vorreiter der Idee, Bootsflüchtlinge nach ihrer Bergung im Mittelmeer erst gar nicht mehr in die EU zu bringen, sondern in Flüchtlingslager in Nordafrika. Noch hat sich kein Staat zur Einrichtung dieser „Ausschiffungsplattformen“ bereit erklärt, sagt EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos, der das Projekt für chancenlos hält. Doch ganz aussichtslos sei die Sache nicht, versichern EU-Diplomaten, einige Regierungen hätten Gesprächsbereitschaft signalisiert. Tunesien und Marokko gelten als mögliche Standorte, vor allem aber Ägypten. Auf seiner Gipfel-Vorbereitungstour war Kurz gemeinsam mit EU-Ratspräsident Donald Tusk nach Kairo gereist, beide zeigten sich nun zuversichtlich. „Wir sollten das Potenzial ausgebauter Zusammenarbeit mit Ägypten diskutieren“, sagte Tusk. Er schlug den Regierungschefs einen Migrations-Gipfel der EU und der Arabischen Liga in Ägypten im nächsten Februar vor.

    Zu den offenen Baustellen zählt aber auch die Frage, wie es mit der EU-Marinemission „Sophia“ im Mittelmeer weitergeht. Die Operation soll Schlepper bekämpfen, ist aber zwangsläufig auch bei der Rettung von Bootsflüchtlingen zur Stelle; Italiens Bereitschaft, diese Flüchtlinge aufzunehmen, geht zu Ende. Kurz schien in der Flüchtlingspolitik längere Zeit auf Italiens Seite zu stehen, jetzt hat er sich mit beachtlicher Geschmeidigkeit distanziert. Er ruft Rom auf, die harte Haltung aufzugeben: „Länder an den Außengrenzen brauchen unsere Hilfe, aber müssen auch Unterstützung und Hilfe der EU annehmen.“

    Und dann schwelt noch der große Streit um die Verteilung von Asylbewerbern innerhalb Europas, um die verbindliche Aufnahmequote für alle EU-Staaten. Deutschland ist vehement dafür, Kurz ist dagegen – er wird während des Ratsvorsitzes wohl dafür sorgen, dass sich seine Linie durchsetzt. Mit dem Nein zur Flüchtlings-Quote ist er nah bei Ungarns Premier Orbán. Doch die Allianz zwischen Wien und Budapest hat starke Risse bekommen, weil Kurz vergangene Woche den Beschluss des EU-Parlaments unterstützte, ein Sanktionsverfahren gegen Ungarn wegen Rechtsstaatsverstößen einzuleiten. Das Thema treibt am Rande auch den Gipfel in Salzburg um. Orbáns Leute haben Kurz schon ins Visier genommen, ihn als „Söldner“ des beim ungarischen Autokraten verhassten US-Milliardärs George Soros bezeichnet. Für „Brückenbauer“ Kurz eine neue Erfahrung.