Berlin/München.

Der Schlusssprint im Wahlkampf hat gerade erst begonnen, doch als Horst Seehofer am Sonnabend in München die Bühne des CSU-Parteitags betritt, sieht es eher aus, als hätte er bereits einen Marathon hinter sich. Der Parteichef wirkt müde, schwitzt unter den grellen Bühnenscheinwerfern. „Wir sind eine Volkspartei, wir bleiben eine Volkspartei“, schwört Seehofer die 800 Delegierten ein. Doch vier Wochen vor der bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober klingt das eher nach Selbstvergewisserung als nach plausibler Vorhersage.

Denn die Umfragen sagen den Christsozialen einen beispiellosen Absturz vorher: Nach dem Landtagswahltrend des Bayerischen Rundfunks vom Mittwoch könnten sie, die bislang allein regieren, nur noch 35 Prozent der Stimmen erhalten. Die 47,7 Prozent aus dem Jahr 2013 wären damit in sehr weite Ferne gerückt. Eine Niederlage hätte das Potenzial, alte Gräben in der Partei neu aufzureißen.

Söder sieht in den schlechten Umfragewerten einen Weckruf

Noch müht sich die CSU, realistisch und optimistisch zugleich zu sein: Die Umfragewerte seien „Ansporn und Weckruf“ für die CSU, sagte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Seine größte Botschaft derzeit heißt „Stabilität und Geschlossenheit“ – Schlagworte, die auch Seehofer in seiner Rede aufgriff. Doch ausgerechnet der Parteichef und Bundesinnenminister in Berlin bringt beides gerade öfter ins Wanken. Vor dem Sommer gab es den langen und erbitterten Streit mit der Kanzlerin über die Flüchtlingspolitik, nach der Pause Seehofers umstrittene Äußerungen zu den Vorfällen in Chemnitz. Und jetzt die Causa Maaßen – erneut ein Streit, der das Zeug hat, die Koalition auseinanderzudividieren, was die Republik, aber auch die CSU, in schwere Turbulenzen stürzen würde. Seehofer, in der Defensive, beschwichtigte in München: „Die Koalition wird weitergehen, meine Damen und Herren, lassen Sie sich da nix einreden.“

Doch selbst wenn das abgewendet werden kann – die Unruhe, die ständigen Konflikte: Alles nicht hilfreich, so sehen es Mitglieder des CSU-Parteivorstands in München. „Wir wissen nicht, was den Horst antreibt. Er ist keine Hilfe“, seufzt ein Parteivorstandsmitglied. Schon lange schimpfen einige – hinter vorgehaltener Hand – dass Seehofer den Wahlkampf torpediere, ob bewusst oder unbewusst. Ein anderes Problem sei die Zerstrittenheit der GroKo. Das nähre die Unzufriedenheit der Menschen, unabhängig vom Thema, so die Analyse aus München. Söder wird im Falle eines schlechten CSU-Ergebnisses auf die Störfeuer aus Berlin verweisen, vorsorglich macht er das bisweilen jetzt schon: An den schlechten Umfragewerten für die CSU seien auch die politischen Entscheidungen auf Bundes- und Europa-Ebene schuld. „Das ist kein bayerisches Ergebnis.“ Den Ministerpräsidenten ärgert, dass er mit den sozialen Leistungen, die seine Regierung auf den Weg gebracht hat – etwa das Pflegegeld – in der Aufmerksamkeit absackt und die Migrationspolitik alles überdeckt. Am Sonnabend zeigt er sich trotzdem versöhnlich gegenüber den Parteikollegen in Berlin: „Ihr habt keinen leichten Stand“. Söder gibt sich in München kämpferisch und energiegeladen: „Wahlen werden kürzer entschieden, als man denkt“, erklärt der bayerische Regierungschef. Nach den rund 80 Minuten seiner umjubelten Rede bekam er langen Applaus.

Seehofer hatte die Latte lange hoch gelegt für Söder, sprach bis zuletzt vom Ziel der absoluten Mehrheit in Interviews. Davon ist er nun abgekommen. Auch in einem anderen Punkt sind sich Seehofer und Söder inzwischen einig: Dass die AfD nach den Vorfällen von Chemnitz härter angegangen werden soll als bisher. Ihr soll die Zugehörigkeit zum bürgerlichen Lager schwerer gemacht werden. „Franz Josef Strauß würde diese AfD bekämpfen“, so Söder in München, „und wir sollten es auch tun!“

Das klang vor einigen Monaten noch anders: Nach der Bundestagswahl versuchte die Parteispitze durch einen verschärften Kurs in der Sicherheits- und vor allem der Migrationspolitik, die Flanke nach rechts zu schließen. Dass Söder mit Dobrindt und Seehofer gegen die Kanzlerin zu Felde zog, gilt inzwischen als Fehler. Die Fehde hat Vertrauen gekostet und zur Politikverdrossenheit beigetragen. Das sieht man in der CDU- und der CSU–Führung so.

Noch hält der Burgfrieden zwischen Seehofer und Söder. Doch er wird mit dem Wahltag enden, wenn die Wahl aus CSU-Sicht ein Desaster wird. Dann wird es Rücktrittsforderungen geben – wer sich durchsetzen wird, ist offen. Söder ist mit seinen 51 Jahren gerade erst am Ort seiner Träume, der Staatskanzlei, angekommen. Der 69-jährige Seehofer kämpft für sich selbst, sein Amt, sein politisches Erbe. Er wird um seinen Job als Innenminister und CSU-Parteichef (was ihm das politische Gewicht in Berlin verleiht) auf jeden Fall ringen. Es könnte ein erbitterter Kampf werden.