Es wäre mehr als peinlich, wenn der Präsident des deutschen Verfassungsschutzes recht hätte. Wenn etablierte Medien wie die ARD und viele andere – auch diese Redaktion – einem gefakten Video aus Chemnitz aufgesessen wären und so teilweise falsch über die Geschehnisse in der sächsischen Stadt berichtet hätten. Ungeheuerlich ist aber, dass der Wächter unserer Verfassung nur Spekulationen statt Fakten oder Beweise dazu liefert.

Hans-Georg Maaßen hat öffentlich lediglich einen Verdacht geäußert. Das führt zu zwei logischen Schlüssen: Entweder er weiß nicht, ob seine Behauptung stimmt. Oder er weiß es – verrät aber nicht die ganze Wahrheit. Beide Varianten werfen ein denkbar schlechtes Licht auf einen Spitzenbeamten, der für die Sicherheit der Bürger verantwortlich ist.

Der Präsident muss seinen Vermutungen jetzt schleunigst Fakten folgen lassen und beweisen, dass seine Behauptungen stimmen. Seine Erklärung von Freitagabend, man „prüfe“ alle zugänglichen Informationen hinsichtlich ihres Wahrheitsgehalts, ist blamabel. Ist das die neue Vorgehensweise beim Verfassungsschutz: erst behaupten und danach prüfen?

Maaßen ist kein Einzelkämpfer, der für sein Bauchgefühl bezahlt wird. Er verfügt über einen Etat von 350 Millionen Euro und über 3100 Mitarbeiter. Darunter etliche Experten, die ein gefälschtes Video entlarven könnten. Aus diesem Haus darf man mehr erwarten als seltsame Relativierungen zu den Chaos-Tagen von Chemnitz. Wenn der Verfassungsschutzpräsident am Ende nicht beweisen kann, dass im Fall Chemnitz die Öffentlichkeit mit einem oder gar mehreren gefälschten Videos getäuscht wurde, dann hat er in unverantwortlicher Weise Wasser auf die Mühlen der Rechten gelenkt. Dann hat er Hunderte Journalisten unter den Generalverdacht der „Lügenpresse“ gestellt und die Bundesregierung diskreditiert. Dann muss er gehen.

Besonders ärgerlich an der Spekulation des Verfassungsschützers ist, dass der Eindruck entstehen könnte, in Chemnitz sei nichts Bemerkenswertes geschehen. Dazu passt, dass nur 14 Tage später statt über Ursachen und Herausforderungen der Geschehnisse über Begriffe diskutiert wird. Gab es eine Hetzjagd? Gab es eine Jagd? Oder wurden „nur“ Ausländer verprügelt? Es ist völlig richtig, wenn man Präzision bei der Beschreibung solcher Vorfälle anmahnt. Aber das darf nicht die Augen vor unbestrittenem Unrecht verschließen. Es gab nach einer brutalen Straftat Gewalt gegen Unschuldige. Es gab Zusammenrottungen von Rechtsextremen, jede Menge übelste Sprüche und Hitlergrüße in aller Öffentlichkeit. Das führte zu über 100 Ermittlungsverfahren. Es ist daher richtig, dass die Kanzlerin die Vorfälle deutlich kritisiert hat.

Die sprachliche Präzision lässt übrigens ausgerechnet Maaßen in besonderem Maße vermissen. Er ist der einzige Bundesbeamte, der bereits öffentlich von einem „Mord“ in Chemnitz spricht. Das sollte Maaßen nicht machen, denn nicht einmal der zuständige Staatsanwalt will sich so festlegen und ermittelt wegen des Verdachts auf gemeinschaftlichen Totschlag. Das macht die Tat nicht weniger schlimm aber entspricht zumindest dem Rechtsgrundsatz und zeigt Respekt vor den weiteren Ermittlungen.

Hans-Georg Maaßen tut so etwas nicht aus Versehen. Der Mann ist Jurist und weiß um seine Worte und ihre Bedeutung. Das macht sein Vorgehen noch dubioser und fügt sich in eine Reihe von seltsamem Verhalten, wie etwa die eingehende Beratung von führenden Köpfen der AfD.

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