Berlin.

Ein Mercedes CLS 320 ist ein luxuriöses Auto, und auch als Gebrauchtwagen kostet ein altes Modell noch immer mindestens 7000 Euro. Wer so viel Geld aufbringen kann, hat in der Regel genügend eigenes Einkommen – jedenfalls ausreichend viel, um nicht staatliche Leistungen in Anspruch zu nehmen. Die Polizei in Duisburg wunderte sich deshalb, als am Dienstag dieser Woche ausgerechnet ein solcher Wagen vor einem der örtlichen Jobcenter vorfuhr.

Die Beamten überprüften den arbeitslosen Fahrer und beschlagnahmten den Mercedes dann. Der Verdacht: Sozialbetrug. Das Fahrzeug war nicht nur auf den Mann zugelassen, das Kennzeichen trug seine Initialen und sein Geburtsjahr. „Der Wagen gehört mir gar nicht, ich fahre ihn bloß“, behauptete der Arbeitslose anschließend in der „Bild-Zeitung“.

Immer wieder gibt es spektakuläre Meldungen über Sozialbetrug. Nicht nur bei Hartz IV, sondern auch bei anderen staatlichen Leistungen wie dem Kindergeld versuchen immer wieder Empfänger, die Behörden zu täuschen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will das nicht hinnehmen: „Jeder, der den Staat betrügt, muss zur Rechenschaft gezogen werden – das gilt für steuerhinterziehende Millionäre genauso wie für Menschen, die sich Sozialleistungen ergaunern“, sagte er unserer Redaktion. „Beides ist kein Kavaliersdelikt, es führt zu gesellschaftlichem Unfrieden. Das ist nicht in Ordnung und gefährdet den Zusammenhalt in unserem Land“, ist er überzeugt. Heil lobt die Behörden in Duisburg ausdrücklich: „Ich finde es richtig, dass die Behörden genau hinschauen.“

Organisierter Leistungsbetrug als „neues Phänomen“

Dass die Polizei am Dienstag die Kunden von zwei Jobcentern der Stadt überprüfte, war eine Premiere. Ziel der Kontrollen war es nach Auskunft der Staatsanwaltschaft, kriminellen Großfamilien auf die Spur zu kommen. Vier Stunden lang, von acht Uhr morgens bis zwölf Uhr mittags, kontrollierten die Beamten die Autos und ihre Fahrer, die vor den Jobcentern hielten. Nicht nur der Besitzer des Mercedes fiel ihnen dabei auf. Sechs weitere Empfänger von Arbeitslosengeld II erschienen vor der Behörde in teuren Autos, die sie nicht hätten besitzen dürfen. „Da wir so erfolgreich waren, werden wir bestimmt noch mehr solcher Sozialbetrug-Kontrollen machen“, sagt ein Polizeisprecher. „Ganz schön dämlich“ sei das, was dem Mercedes-Fahrer und den anderen Empfängern von Sozialleistungen passiert sei, fügt er hinzu.

Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist inzwischen auf den Betrug aufmerksam geworden: „Die Bundesagentur hat den organisierten Leistungsbetrug bei Arbeitsagenturen und Jobcentern als neues Phänomen erkannt und geht Hinweisen auf Missbrauch konsequent nach“, sagt eine Sprecherin. Sie räumt aber ein, dass die Mitarbeiter Kontrollen wie in Duisburg nicht selbst durchführen können. Die Mitarbeiter hätten nicht die Zeit vor der Tür Kontrollen wie in Duisburg durchzuführen.

In einem inoffiziellen Papier aus dem Februar notiert die BA, dass die Zahl der Betrugsverdachtsfälle 2017 im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken ist: um 0,8 Prozent auf 148 524 Fälle. Zum Vergleich: Insgesamt gibt es vier Millionen erwerbsfähige Empfänger von Arbeitslosengeld II.

„Schwerwiegende Missbräuche kommen zwar in der Praxis eher selten vor“, schreibt die Bundesagentur in dem Papier. „Sie untergraben aber das Vertrauen in den Sozialstaat und bringen alle Hilfebedürftigen generell in Verdacht.“ Nach Angaben der BA kosteten die Sozialbetrüger den Steuerzahler 2017 insgesamt 54 Millionen Euro.

Das Problem an diesen Zahlen ist: Sie erfassen nur die 303 Jobcenter, die die Bundesagentur mit den Kommunen betreibt. Einen Austausch mit den 104 Jobcentern, die nur kommunal betrieben werden, gibt es nicht. Das tatsächliche Ausmaß des Sozialbetrugs ist so nur schwer zu erfassen. Es wäre aber die Voraussetzung dafür, um den Betrug effektiver zu bekämpfen, meint Pascal Kober, der sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag. „Wir brauchen eine bundesweite Missbrauchsstatistik für Sozialbetrug“, fordert Kober. Die Zahl der Fälle und damit der Schaden, wie viel ein solcher Betrug den Steuerzahler koste, müsse offengelegt werden. „Da müssen wir für Transparenz sorgen, sonst verlieren die Leute das Vertrauen in den Sozialstaat“. Kober findet auch, dass man von Mitarbeitern eines Jobcenters erwarten könne, die Plausibilität eines Antrags auf Arbeitslosengeld II zu prüfen. Dazu gehöre neben der Prüfung der Dokumente „auch das Wahrnehmen von Auffälligkeiten, die auf Sozialbetrug hinweisen könnten“.

In Bremerhaven, dem nördlichen Teil des Bundeslands Bremen, hat man ebenfalls Erfahrungen mit dem Sozialbetrug gemacht. Dort war das Ausmaß so groß, dass es einen Untersuchungsausschuss gab. Ein ehemaliger SPD-Bürgerschaftsabgeordneter und sein Vater sollen Hunderten Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien Scheinarbeitsverträge mit geringen Löhnen ausgestellt haben, die mit Arbeitslosengeld II aufgestockt wurden. So erschlichen sich die Betrüger fast sechs Millionen Euro. Um einen solchen Fall in Zukunft zu verhindern, wird das Jobcenter Bremerhaven einen „Betrugs-Experten“ einstellen. Der Jurist soll Strategien zur Bekämpfung entwickeln. Er soll seine Stelle bald antreten.