Washington.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Zustände im Weißen Haus in ein denkbar unvorteilhaftes Licht gerückt werden. Seit Donald Trump im Januar 2017 ins Amt kam, haben über ein Dutzend Autoren den US-Präsidenten als labilen Egomanen skizziert, der sich mit Intriganten und Jasagern umgibt und erratische Politik mit der Abrissbirne betreibt. Dafür stehen Michael Wolffs „Fire and Fury“, die Memoiren des von Trump gefeuerten FBI-Direktors James Comey und das Skandalwerk der Ex-Präsidentenberaterin Omarosa Maingault. Beim Lesen stellten sich oft „Und täglich grüßt das Murmeltier“-Gefühle ein. So ist es auch bei einigen der vorab auf den Medienmarkt geworfenen Appetithäppchen für das am 11. September erscheinende Buch „Fear“ (Furcht) des Pulitzer-Preisträgers Bob Woodward (75), die Washingtons politische Klasse hyperventilieren lassen.

Es überrascht nicht, dass Trump seinen früheren Stabschef Reince Priebus als „kleine Ratte“ und Justizminister Jeff Sessions als „geistig behindert“ und „dummen Südstaatler“ bezeichnet haben soll. Auch das de-facto-Arbeitsverbot für Handelsminister Wilbur Ross („Ich habe kein Vertrauen mehr zu dir“) passt ins Bild. Ebenfalls die Verbalinjurien von Stabschef John Kelly, der Trump als beratungsresistenten „Idioten“ tituliert haben soll. Oder das unschmeichelhafte Urteil von Verteidigungsminister James Mattis. Er bescheinigte Trump laut Woodward den Intellekt eines „Fünft- oder Sechstklässlers“. Vorweg: Beide habe die ihnen zugeschriebenen Zitate bestritten.

Was „Fear“ allerdings besonders macht, sind der Autor, erwartbare Substanz auf 448 Seiten und Zeitpunkt der Veröffentlichung. Woodward ist eine lebende Legende. 19 Bücher, 13 Nummer-eins-Bestseller. Neun Bände über amerikanische Präsidenten. Zweifacher Pulitzer-Preisträger. Einer der berühmtesten Reporter weltweit, seit er Anfang der 70er-Jahre für die „Washington Post“ gemeinsam mit Carl Bernstein in der Watergate-Affäre Präsident Richard Nixon mit hartnäckigen Recherchen zu Fall brachte.

Solche Schwergewichte als Geschichtenerfinder abzustempeln fällt schwer. Woodward ist bekannt dafür, seine Quellen (in diesem Fall Dutzende ehemalige und amtierende Regierungsmitarbeiter) auf Band aufzunehmen. Erst nach akribischem Gegenchecken gelangen seine zeitgeschichtlichen Destillate in den Buchdruck.

Das auf der Amazon-Bestseller-Liste seit Tagen auf Platz 1 stehende Werk trifft Trump im Umfragetief. Fast 60 Prozent der Amerikaner lehnen ihn trotz der wirtschaftlich positiven Kennziffern ab. 50 Prozent befürworten seine Amtsenthebung. Und das alles acht Wochen vor den Wahlen im Kongress, wo ein Sieg der Demokraten im Repräsentantenhaus aus Trump über Nacht politisch eine lahme Ente machen kann.

Trumps Kernwähler, so waren sich Analysten im US-Frühstücksfernsehen gestern einig, wird Woodwards Botschaft („Das Geschehen im Weißen Haus steht nicht für die ,Kunst des Deals‘, sondern für den Zusammenbruch des Deals“) nicht in ihrer Treue zum Präsidenten erschüttern. Gemäßigte Konservative könne dagegen verstören, dass der ehemalige Chef-Ökonom Gary Cohn ein unterschriftsreifes Papier für die Kündigung eines Abkommens mit Südkorea auf dem Schreibtisch von Trump in letzter Minute verschwinden ließ und so eine „wirtschaftliche Katastrophe“ verhindert habe. „Beängstigend“ wirke auch die Schilderung, dass Trump nach dem Giftgasangriff auf Rebellen in Syrien 2017 auf die Tötung von Diktator Baschar al-Assad gepocht habe („Let’s fucking kill him“). Verteidigungsminister Mattis saß den präsidialen Fingerzeig demnach aus.

Trump, der von Woodward mehrfach vergebens um ein Interview gebeten wurde, reagiert wie gewohnt. Er nennt den Inhalt des Buches frei erfunden. Er kratzt an der Glaubwürdigkeit des Autors. Dabei müsste ihn der Buch-titel stutzig machen. Die „Angst“ hatte Trump selbst hoffähig gemacht, als er im Wahlkampf nach seiner Definition von Macht gefragt wurde. „Echte Macht ist, und ich will das Wort fast nicht gebrauchen: Angst.“ Bob Woodward macht ihm offenbar Angst.