Brüssel.

Manfred Weber hat es eilig auf dem Weg nach ganz oben in Europa. Das Bewerbungsverfahren für eines der mächtigsten Ämter der EU hat bei der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) noch gar nicht begonnen, da hebt der 46-jährige CSU-Vize in Brüssel schon die Hand: „Ich will Spitzenkandidat werden und ich will der nächste Präsident der EU-Kommission werden“, sagt Weber am Mittwoch nach einer Sitzung der EVP-Fraktion, deren Vorsitzender er ist.

„Ja, ich bin bereit“, versichert er mit ruhiger Stimme, dann dreht er schon das große Rad: Es gehe bei der Europawahl im Mai 2019 um die Selbstbehauptung des Kontinents, um die „Verteidigung unserer Werte“ und das „Überleben unseres Way of Life“. Eine „neue Ära für Europa“ beschwört Weber. Und verspricht gar, „Europa den Bürgern zurückzugeben“. Es ist gleich das große Schlachtengemälde, das der liberale Christsoziale mit dicken, ruhigen Pinselstrichen für den Wahlkampf malt. Es ist sein Markenzeichen: stets unaufgeregt, selten polemisch, niemals laut, aber doch gern mit klaren Sätzen. Wird der nette CSU-Mann der erste Deutsche im Amt des EU-Kommissionschefs seit über 50 Jahren?

Der Weg dahin ist lang, sicher ist nichts. Doch der Ingenieur aus Niederbayern hat den Marsch auf den EU-Spitzenposten seit vielen Monaten geplant. Sein wichtigster Trumpf: Als Fraktionsvorsitzender der EVP-Fraktion, der größten Gruppe des Parlaments, hat er sich mit Fleiß und Charme ein Netzwerk in Europa aufgebaut. Das könnte ihm entscheidende Stimmen bringen, wenn die EVP am 8. November ihren Spitzenkandidaten kürt. Weil die Christlich-Konservativen bei den Europawahlen wahrscheinlich wieder stärkste Kraft werden, hat ihr Spitzenkandidat gute Chancen, danach von den Regierungschefs vorgeschlagen und vom Parlament ins Präsidentenamt gewählt zu werden. „Ich sehe mich als europäischer Politiker, allen Bürgern Europas verpflichtet“, sagt Weber am Mittwoch. Er liest sein Statement in niederbayerisch gefärbtem Englisch vor, nicht auf Deutsch.

Weber gilt im Parlament als Meister des Ausgleichs, des Kompromisses, als guter Moderator. Klingt nicht spannend, aber er macht es nun zu seinem Programm: „Wir müssen vor allem Europa zusammenhalten“, fordert der CSU-Politiker. Er wolle „die Interessen zusammenbringen und Brücken bauen“ – zwischen Ost und West, großen und kleinen Ländern. Weber ist da ganz bei sich. Er ist leidenschaftlicher Europäer, der schon 2004 zur Verwunderung seiner Parteifreunde ein Landtagsmandat gegen einen Sitz im Europaparlament tauschte. „Meine Mission ist eine europäische, Europa ist unsere Zukunft“, verkündete er damals.

Zu seinen Stärken zählt, dass er die europäische Idee in großen Bildern und verständlichen Worten auch im Bierzelt noch überzeugend an den Mann bringen kann. Fehlleistungen der EU-Politik redet er nicht schön. Und er weiß, was die Leute umtreibt. Vehement fordert Weber etwa einen Abbruch der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei („Wir müssen reinen Tisch machen“). Der Brüsseler Strippenzieher scheut sich auch nicht, verständnisvoll die Kritik an einem angeblich bürokratischen Elite-Europa zu zitieren, um für ein „stärkeres Band“ zwischen Bürgern und EU zu werben.

In der CSU hat Weber wegen seines gemäßigten Europa-Kurses trotzdem nicht nur Freunde. Im Europawahlkampf 2014 musste er zähneknirschend zusehen, wie CSU-Chef Horst Seehofer auf der Welle der EU-Kritiker ritt und seine Kampagne verhagelte. Für seine neuen Ambitionen hat Weber aber offiziell die Unterstützung der CSU-Spitze. Auch CDU-Chefin Angela Merkel legt seiner Kandidatur keine Steine in den Weg, gibt ihm aber ausdrücklich keine Zusage für das Amt des Kommissionspräsidenten. Merkel schätzt den CSU-Mann für seinen pragmatischen Kurs, aber ihren Spielraum im europäischen Personalpoker will sie behalten. Das weiß man auch in Brüssel: Wenn die EVP am Donnerstag offiziell ihr Kandidatenkarussell in Gang setzt, wird mit Bewerbungen etwa von Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier und mehreren früheren Regierungschefs gerechnet. Sollte sich Weber in der EVP durchsetzen, droht nach der Europawahl neue Konkurrenz: Die Lage im EU-Parlament wird voraussichtlich so unübersichtlich, dass zur Präsidenten-Kür über ganz neue Allianzen spekuliert wird.

Webers Problem beim Auswahlverfahren: Er ist einem breiten Publikum unbekannt, hat keinerlei Regierungserfahrung und noch nie eine Behörde geleitet. Dabei schaffen es seit vielen Jahren nur frühere Regierungschefs auf den Präsidentenstuhl. Kritiker in Brüssel vermissen bei Weber zudem Durchsetzungsvermögen und ein klares Profil. Der CSU-Mann kann an einem Tag mit Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schwarz-grüne Annäherung feiern. Und am nächsten Tag den ungarischen Autokraten Viktor Orbán verteidigen, weil der zur EVP-Familie gehört: Orbán habe „keine Kritik, sondern Respekt und Dank“ verdient, forderte Weber schon zum Ärger mancher EVP-Kollegen. Bislang ging das gut, weil der Fraktionschef selten im Scheinwerferlicht stand.

Jetzt wird er anders beobachtet. Wenn kommende Woche das EU-Parlament entscheidet, ob Ungarns Rechtsstaatsverletzungen so konsequent geahndet werden wie die Polens, kommt es zum ersten Test für Weber. Aber der will ja auch selbst die Auseinandersetzung. Schon vor Monaten forderte er, anders als 2014 müsse es in diesem EU-Wahlkampf „knistern“.