Berlin.

Während die Polizei in Chemnitz einen dritten Tatverdächtigen sucht, bringen die Akten der Asylbewerber Yousif A. und Alaa S. das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Verlegenheit. Die Herkunft der Tatverdächtigen, die einen 35-Jährigen Deutschen erstochen haben sollen, ist ungeklärt: Yousif A. legte gefälschte Dokumente vor, Alaa S. wurde ungeprüft als Flüchtling anerkannt. Am Dienstag veröffentlichte das Innenministerium eine Darstellung, die sich wie eine Dokumentation des Versagens liest – und wie eine Bloßstellung der Nürnberger Behörde.

Die Papiere von Yousif A. erweisen sich als Fälschung

Am Vorabend war Bamf-Präsident Hans-Eckard Sommer, keine 100 Tage im Amt, zum Rapport in Berlin. Innenminister Horst Seehofer (CSU) rügt, „die Kommunikation zwischen der zuständigen Ausländerbehörde und dem Bamf hätte hier besser sein müssen“.

Yousif A. beantragt im November 2015 Asyl. Als die Behörden seine Fingerabdrücke routinemäßig im EU-weiten Identifizierungssystem Eurodac abgleichen, landen sie einen Treffer: Der Mann hat in Bulgarien Asyl beantragt. Er hätte dorthin überstellt werden können. Das sei „grundsätzlich möglich gewesen“, so das Ministerium. Die örtliche Ausländerbehörde erfährt davon am 1. Juni 2016 – da waren sämtliche Fristen für die Überstellung nach dem Dubliner Abkommen verstrichen.

Man muss sich die Zustände im Spätherbst 2015 in Erinnerung rufen. Monat für Monat kommen Tausende Flüchtlinge an – und die für Asylverfahren zuständigen Behörden mit ihrer Arbeit kaum nach. Migranten müssen Monate warten, um einen Antrag zu stellen. Erst am 7. November 2017 findet im Fall von Youssif A. eine förmliche Anhörung statt. Er legt einen irakischen Ausweis, einen Reisepass und eine Staatsangehörigkeitsurkunde vor. Es dauert weitere sieben Monate, bis die Dokumente auf ihre Echtheit überprüft sind. Am 15. Juni 2018 steht dann fest, „dass es sich bei allen vorgelegten Dokumenten um Totalfälschungen handelte“. Seither versuchen Bamf und Polizei, die wahre Identität des Migranten zu ermitteln. Sein Asylantrag ist inzwischen abgelehnt worden. Die Ablehnung ist bis heute nicht rechtskräftig. Abschieben kann man den Mann auch nicht. Wohin auch? Denn dazu bräuchte man zweifelsfrei ein Herkunftsland.

Seehofer ist ungehalten. Der mutmaßliche Tatverdächtige hätte nach Bulgarien zurückgeführt werden können – wenn die Kommunikation zwischen Bamf und der örtlichen Ausländerbehörde geklappt hätte. „Solche Verzögerungen und Fehler müssen wir in der Zukunft verhindern“, sagt der Innenminister. Und: „Die Untersuchung der vorgelegten Dokumente hat zu lange gedauert.“ Dem Bamf fehlen hochspezialisierte Dokumentenprüfer. Die Pannenstory bestärkt Seehofer in seinem Vorhaben, Ankerzentren aufzubauen. Ihnen liegt die Idee zugrunde, alle Behörden räumlich zusammenzubringen, damit sie möglichst eng kooperieren, schnell und effektiv die Fälle abarbeiten, Rücküberstellungen in Ersteinreisestaaten veranlassen.

Der zweite Verdächtige Alaa S. wird gar nicht erst angehört. Er stellt im Mai 2015 einen Asylantrag. Als im Sommer der Flüchtlingsstrom aus Syrien ansteigt und der Kontrollverlust droht, werden die Verfahren von Syrern eine Zeitlang nur schriftlich bearbeitet.

„Wir schaffen das“, hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am 30. August 2015 als Ziel vorgegeben. Schnell und unbürokratisch will man sein. Alaa S. wird als Flüchtling anerkannt, ohne dass seine Angaben zur Identität überprüft werden. Lakonisch heißt es in der Ministeriumserklärung, seine Angaben „beruhen auf einer Selbstauskunft“. Inzwischen rollt das Bamf seinen Fall wieder auf. Bis heute ist unklar, ob seine Angaben stimmen. Der dritte Verdächtige heißt Farhad R., ist 22 Jahre alt, dieselbe Altersklasse wie die anderen, gilt als gefährlich und soll aus dem Irak stammen. Was zu beweisen wäre.