Berlin.

Es ist nur sechs Jahre her, dass der Bundestag zwei Gesetze beschlossen hat, mit denen die Bedingungen für Organspenden verbessert werden sollten. Trotzdem hat die Zahl der Spenden im vergangenen Jahr ein Rekordtief erreicht. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schlägt deshalb nun vor, dass grundsätzlich jeder erst einmal als Organspender gilt – und dann, wenn er das nicht will, aktiv widersprechen muss. Die Diskussion darüber schlägt hohe Wellen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema:


Wie viele Organspenden gibt es in Deutschland?

Im vergangenen Jahr gab es 797 Organspender in Deutschland. Das waren nach Angaben der Deutschen Stiftung Organspende (DSO) so wenige wie seit 20 Jahren nicht. Davor waren es jeweils zwischen 850 und 870 pro Jahr. Noch vor sieben Jahren und früher gab es sogar regelmäßig mehr als tausend Spender pro Jahr. Ähnlich hat sich die Zahl der entnommenen und transplantierten Organe entwickelt: Im vergangenen Jahr wurden laut DSO nur noch 2600 Organe verpflanzt. Vor sechs Jahren lag die Zahl noch um 1000 Organe höher. Zum Vergleich: Aktuell warten laut DSO etwa 10.000 Menschen auf ein Spenderorgan.


Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?

Gemessen an der jeweiligen Bevölkerungszahl gibt es in anderen Ländern viel mehr Organspender. In Deutschland gibt es statistisch gesehen aktuell nur 9,3 Spender pro eine Million Einwohner. In den Niederlanden sind es 14 Spender, in Ungarn und Luxemburg 15 Spender und in Belgien und Kroatien sogar 31 Spender – das sind Zahlen der Stiftung Eurotransplant, die in diesen Ländern in offiziellem Auftrag Organe vermittelt. Außerhalb des Eurotransplant-Systems ist Spanien mit zuletzt 47 Spendern pro eine Million Einwohner weltweit Spitze.


Was ist der Grund für die niedrige Spendebereitschaft?

Die Zahl der Spender sank drastisch, als vor sechs Jahren bekannt wurde, dass wenige Ärzte die Krankenakten ihrer Patienten so manipuliert hatten, dass diese bevorzugt Spenderorgane bekamen. Die daraus entstandene Vertrauenskrise hält noch immer an. Abgesehen davon läuft die Organisation von Transplantationen in den Kliniken noch immer nicht optimal. Diese Probleme will die Bundesregierung mit einem Gesetz beseitigen, das Gesundheitsminister Spahn schon auf den Weg gebracht hat.


Wann kommt jemand als Organspender in Frage?

Voraussetzung für eine Organspende ist der vollständige Hirntod des Patienten. Das bedeutet, dass alle Hirnfunktionen ausgefallen sind und eine Rückkehr ins Leben ausgeschlossen ist. Der Hirntod muss unabhängig voneinander von zwei Ärzten (mindestens ein Neurologe) im Abstand von mindestens zwölf Stunden festgestellt werden. Wer akut an Krebs erkrankt war oder schwerwiegende Vorerkrankungen wie Aids oder Tuberkulose hatte, kann keine Organe spenden.


Wie ist die Organspende derzeit in Deutschland geregelt?

Wer seine Organe nach seinem Tod anderen Menschen zur Verfügung stellen will, muss dem ausdrücklich zustimmen. In der Regel besorgt man sich beim Arzt oder der Krankenkasse einen Organspenderausweis, füllt ihn aus und trägt ihn stets bei sich. Umfragen zufolge hat jeder Dritte einen solchen Ausweis. Darauf kann man sich für oder gegen die Organspende aussprechen, einzelne Organe ausschließen oder nur bestimmte Organe freigeben. Diese Entscheidungen können jederzeit widerrufen werden, sie werden nirgends gespeichert. Krankenversicherungen müssen ihren Versicherten schon jetzt regelmäßig Informationen zur Organspende schicken und sie fragen, ob sie Spender werden wollen. Eine Pflicht, sich entscheiden zu müssen, gibt es aktuell nicht („freiwillige Entscheidungslösung“). In Krankenhäusern können Ärzte die Angehörigen auch dann auf die Organspende ansprechen, wenn der Verstorbene sich vorher eindeutig erklärt hat.


Was schlägt Gesundheitsminister Spahn jetzt vor?

Spahn will, dass „die Zustimmung zur Organspende automatisch als gegeben gilt, solange man nicht Nein sagt.“ Das hat er der „Bild“-Zeitung gesagt. In der Fachsprache heißt das „doppelte Widerspruchslösung“. Das bedeutet, dass jeder zu Lebzeiten einer Organspende ausdrücklich widersprechen kann. Ist das nicht der Fall, müssen die Angehörigen entscheiden. Spahn wünscht sich nun eine „breite gesellschaftliche Debatte“ über die Organspende. Vor acht Jahren hatte er den Vorschlag, den er jetzt macht, noch abgelehnt. In der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gibt es dem Vernehmen nach viele, die Spahn folgen wollen. Auch die Bundesärztekammer ist inzwischen dafür, SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ebenfalls. Bei den Grünen und der FDP betonen viele Politiker dagegen das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen. Auch die katholische Kirche äußerte sich skeptisch.


Gibt es die Widerspruchslösung in anderen Ländern?

Ja. Es gibt nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) 18 europäische Länder, in denen die Widerspruchslösung erfolgreich angewendet wird, dazu zählt Organspende-Spitzenreiter Spanien. Ähnlich wie in Deutschland ist die Organspende geregelt in Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Litauen, Rumänien und der Schweiz.


Kann die Widerspruchslösung die Zahl der Organspenden steigern?

Das ist umstritten. Viele Länder, in denen sie gilt, haben höhere Organspendezahlen als Deutschland. Experten halten aber die reibungslose Organisation der Transplantationen und eine umfassende Aufklärung über die Organspende für mindestens genauso wichtig wie die rechtlichen Voraussetzungen.


Wie geht es jetzt weiter?

Minister Spahn will keinen eigenen Gesetzentwurf vorlegen. Er wartet darauf, dass sich die Bundestagsabgeordneten aller Parteien in Gruppen zusammenfinden und jeweils Gesetzentwürfe vorlegen. Die Abstimmung darüber soll eine Gewissensfrage sein.