Washington. Hochkarätig besetzte Trauerfeier für verstorbenen Senator John McCain. Nur der amtierende Präsident fehlte – Donald Trump spielte stattdessen Golf und twitterte

    Es war ein Trauer-Marathon, wie ihn Amerika sonst nur für Präsidenten absolviert. Fünf Tage lang nahm das Land tränenreich Abschied von einem Volksvertreter der besonderen Güte: John McCain.

    Der streitlustige republikanische Senator, der kurz vor seinem 82. Geburtstag einem Gehirntumor erlag, galt über Jahre als Schatten-Außenminister, nationales Gewissen und Volksheld. Zu seinem minutiös geplanten Good-Bye gehörte eine beispiellose Entscheidung für seine Trauerfeier: Donald Trump sollte zu Hause bleiben. Der Präsident – eine unerwünschte Person. Ausgeladen vor den Augen der Nation. Nicht nur, weil Trump sich über McCains Kriegsgefangenschaft in Vietnam lustig gemacht hatte und die Kritik des „elder statesman“ an seinem Handeln mit noch abfälligeren Bemerkungen ahndete.

    McCain wollte seinen Abgang als hochkarätiges Forum für die Wiederbelebung von Werten und Haltungen inszenieren, die seit dem Amtsantritt Trumps für viele als verschüttet gelten. Ein Amerika, in dem zusammengerückt und nicht ausgegrenzt wird. Ein Amerika, in dem zuerst gesucht wird, was Weiße und Schwarze, Konservative und Liberale, Stadt- und Landmenschen, Gläubige und Atheisten verbindet. Und nicht nach dem, was sie trennt. Ein Amerika, das Brückenbauern Vertrauensvorschuss gibt. Und nicht denen, die sie einreißen. Ein Amerika letzten Endes – ohne Trump.

    Darum war der befreiend wirkende Beifall, der am Sonnabend zwischen den gotischen Spitzbögen in Washingtons National Cathedral im Beisein von drei früheren US-Präsidenten, diversen Ministern und Hunderten Polit-Prominenten aus aller Welt losbrach, nicht wirklich überraschend. „Das Amerika von John McCain hat es nicht nötig, wieder großartig gemacht zu werden“, donnerte die Tochter des Verstorbenen, Meghan McCain, unter Schluchzen in das 4000 Menschen fassende Kirchenschiff, „weil Amerika immer großartig war.“

    Der Erfinder des Slogans „Make America great again“ stand da schon auf dem Golfplatz. Mit ich-bezogenen Beiträgen, die sich um das nordamerikanische Freihandelsabkommen (Nafta), Hillary Clinton und die Russland-Ermittlungen drehten, twitterte Trump gegen einen Tag an, an dem nicht er im Mittelpunkt stand. Sondern sein bis vor kurzem wirkungsmächtigster Kritiker.

    Ohne dass sein Name nur einmal fiel, ging es bei der berührenden Trauerfeier, die Millionen am Fernseher live mitverfolgten, immer wieder indirekt um Donald Trump. So sagte Alt-Außenminister Henry Kissinger, McCains große Sorge sei gewesen, dass die Nation ihren „Anstand verliert“. Ohne ihn werde die Welt „einsamer“, sagte der 95-Jährige und schloss mit einem Appell, den manche später als Aufruf zum Widerstand gegen Trump verstehen wollten: „Von nun an ist es an uns, die Ehre des Landes aufrechtzuerhalten.“

    Präsident Georg W. Bush, der McCain 2000 um die republikanische Kandidatur für das Weiße Haus brachte, betonte, dass der streitbare Über-Politiker allgegenwärtig bleibe: „Johns Stimme wird uns immer über die Schulter zuflüstern: Amerika ist besser als das.“ Als was? Präsident Barack Obama, ebenfalls ein McCain-Bezwinger (2008), sagte: „John hat uns zu besseren Präsidenten gemacht, so wie er den Staat besser gemacht hat, so wie er dieses Land besser gemacht hat.“ John McCain wusste, sagte Obama mit Blick auf die Regierungspolitik, dass „unsere Demokratie nicht funktionieren kann, wenn wir die Wahrheit für politische Zwecke verbiegen“.

    In diesem Moment schwenkten Kameras auf die wie versteinert aussehende Ivanka Trump und Ehemann Jared Kushner. Die Tochter des Präsidenten war in letzter Minute mit Genehmigung von McCains tapferer Witwe Cindy auf die Gästeliste gerutscht.

    Wie groß das Verlangen war, John McCain Respekt zu zollen und gleichzeitig stumm mit den Füßen gegen Trump abzustimmen, zeigte sich schon am Freitag. Zehntausende standen stundenlang in schwüler Hitze in kilometerlangen Schlangen vor dem Kapitol an. In der großen Rotunde war der Sarg McCains eingehüllt in eine Nationalflagge aufgebahrt; auf jenem schwarzen Katafalk, der 1865 für Präsident Abraham Lincoln gebaut worden war. Eine seltene Geste, die in der Geschichte der USA vorher nur 30 Amerikanern zuteil wurde.

    Unter denen, die kondolierten, waren Junge und Alte, Familien mit Kindern, aktive Soldaten und Veteranen, Republikaner und solche aus anderen politischen Glaubensschulen. Warum sie gekommen sind? „John McCain hat zeitlebens das Land über die Partei gestellt“, sagt stellvertretend für viele Raymond Peterson. Er war 1969 vier Monate in Vietnam stationiert. „Es da herauszuschaffen und bei Verstand zu bleiben, das schaffte nicht jeder. Umso mehr Respekt habe ich vor John McCain, der dort über fünf Jahre inhaftiert war und gefoltert wurde“, sagte der Veteran. Peterson verstand seinen Besuch auch als „wortlosen Protest“ gegen Trump. „Wie kann man so wenig Anstand besitzen?“.

    So war es auch bei Anne Flores, 66, Frau eines Marines. Sie bezeichnete ihr Erscheinen als „Akt der Zivilität“ in einer Zeit, in der die Sitten verrohten. Flores wünscht sich, dass McCains Tod ein „Wendepunkt“ wird und ein „Aufwachen“ auslöst.

    Zuversicht entnimmt Flores jüngsten Umfragen. Danach haben 60 Prozent der Amerikaner genug von Trump. Knapp die Hälfte befürwortet seine Amtsenthebung. Nur 36 Prozent sind mit dem Präsidenten zufrieden, berichtet die „Washington Post“.

    Die Werte wurden vor der Trauerfeier für John McCain erhoben, der am Sonntag an der Marine-Akademie in Annapolis an der Seite seines Freundes, Admiral Chuck Larson, beigesetzt wurde.