Berlin.

Mit großem Streit war die Koalition in die Sommerpause gegangen – und macht sich nun zerstritten wieder an die Arbeit. Vor acht Wochen drehte sich der Konflikt um den Kurs von CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik. Jetzt knallt es zwischen Union und SPD bei Rente und Arbeitsmarkt. Ein Treffen der Regierungsspitze im Kanzleramt konnte die Wogen am Sonnabend nicht glätten. Aus SPD-Kreisen hieß es, es habe neuen Streit gegeben. CSU-Chef Horst Seehofer dagegen versicherte am Sonntag im ZDF: „Es fand nicht der Hauch eines Streits statt.“ Finanzminister Olaf Scholz (SPD) teilte über das Gespräch nur mit: „Es gab Cordon bleu und Pommes frites. Es schmeckte gut.“ Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Zustand in der Koalition.

Worum ging es bei dem Treffen
am Sonnabendabend?

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Vizekanzler Scholz und Innenminister Seehofer hatten vor mehreren Wochen verabredet, sich nach ihrem Urlaub in Ruhe zusammenzusetzen. Das Treffen sollte vertraulich bleiben, eine offizielle Tagesordnung gab es nicht. Besprochen werden sollten anstehende Projekte der Regierung. Die Runde konnte auch nichts beschließen, weil SPD-Parteichefin Andrea Nahles nicht dabei war.

Mit Nahles trifft sich Merkel am Dienstag zu einem Abendessen – auch das ein lange verabredeter Termin. Möglicherweise wird es an diesem Tag aber jetzt einen regulären Koalitionsausschuss geben, an dem alle Partei- und Fraktionschefs teilnehmen und der auch Beschlüsse fassen könnte. Dass das Treffen vom Sonnabendabend eine so große Bedeutung bekam, lag an Äußerungen von Horst Seehofer, der vorher von „riesigen Problemen“ gesprochen hatte, die gelöst werden müssten. Damit hatte er zunächst Erwartungen geweckt, die erst einmal nicht erfüllt werden konnten.

Über was wird überhaupt gestritten?

In der Sache streitet die Koalition über nichts Unlösbares. Die Stimmung ist aber vor den wichtigen Landtagswahlen in Bayern (14. Oktober) und Hessen (28. Oktober) angespannt. Beide Seiten wollen vorher möglichst gut dastehen.

Auslöser des Streits ist das Rentenpaket von Sozialminister Hubertus Heil (SPD). Der Inhalt dieses Gesetzes ist genau im Koalitionsvertrag verabredet, offen sind nur Details zur Mütterrente: Sollen nur Mütter mit mindestens drei vor 1992 geborenen Kindern einen zusätzlichen Rentenpunkt bekommen? Oder erhalten alle Mütter unabhängig von der Kinderzahl einen halben Punkt? Das ist ein lösbares Pro­blem.

Verhakt hat sich die Koalition, weil die Union ihre Zustimmung zum Rentenpaket davon abhängig macht, dass der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung (aktuell 3,0 Prozent vom Bruttolohn) gesenkt wird. Im Koalitionsvertrag ist eine Senkung um 0,3 Prozentpunkte verabredet, die Union will jetzt aber bis zu 0,7 Punkte. Minister Heil würde 0,4 oder 0,5 Punkte mitmachen, stellt nun aber selbst Bedingungen und will als Ausgleich mehr Geld für Weiterbildung. Das sieht die Union skeptisch.

CDU und CSU wollen auch verhindern, dass Heil die Regeln für das Arbeitslosengeld I lockert. Bis jetzt muss jemand in zwei Jahren mindestens zwölf Monate gearbeitet haben, um Arbeitslosengeld I zu bekommen. Die SPD will diese Zeit auf mindestens zehn Monate in drei Jahren zurückdrehen. Die Union will aber nicht mithelfen, die Hartz-Reformen wieder aufzuweichen.

Aus allen diesen Gründen wurde das Rentenpaket von der Bundesregierung in der vergangenen Woche noch nicht beschlossen. Es soll jetzt „sicher in den nächsten Tagen das Bundeskabinett erreichen“, sagte Scholz am Sonntag.

Unabhängig davon verhandelt die Koalition noch über andere Themen wie Mietrecht, Baukindergeld und das Zuwanderungsgesetz für Fachkräfte. Denkbar ist, dass alles am Ende zu einem großen Paket verschnürt wird, mit dem beide Seiten zufrieden sind. „Wir werden Woche für Woche wichtige Entscheidungen treffen“, kündigten Merkel und Seehofer am Sonntag wortgleich in ihren Sommerinterviews in ARD und ZDF an.

Was will die SPD?

Seit etwa einer Woche versucht die SPD, sich mit dem Thema Rente zu profilieren. Finanzminister Scholz und seine Parteifreunde fordern nahezu täglich, das aktuelle Rentenniveau nicht nur bis zum Jahr 2025 zu garantieren (was die Koalition mit dem Rentenpaket beschließen will), sondern sogar bis zum Jahr 2040. Finanziert werden könne das mit Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt. Scholz sagte am Sonntag, niemand wisse, wie viel Geld in Zukunft im Haushalt zur Verfügung stehe. Im Jahr 2030 könnten es 500 Milliarden Euro sein. Eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters, wie es einst SPD-Arbeitsminister Franz Müntefering mit der Rente mit 67 Jahren durchsetzte, lehnen Scholz und Parteichefin Nahles inzwischen ausdrücklich ab.

Zur Debatte steht das alles gerade nicht, denn die Koalition hat extra eine Kommission eingesetzt, die sich mit der Zukunft der Rente nach dem Jahr 2025 befassen soll. Aber die SPD wittert die Chance, vor den wichtigen Landtagswahlen erstmals wieder ein sozialpolitisches Thema zu setzen. Offenbar kann sie damit beim Wähler auch punkten: Laut der neuesten Umfrage von Emnid für die „Bild am Sonntag“ kann die SPD als einzige Partei zulegen – um zumindest einen Punkt auf immer noch bescheidene 18 Prozent.

Was will die Union?
CDU und CSU schauen ebenfalls auf die Landtagswahlen – und wollen möglichst Ruhe haben. Sie haben in Hessen und Bayern jeweils den Posten des Ministerpräsidenten zu verlieren und haben sich durch den internen Asylstreit schon selbst genug geschadet. Noch mehr Streit aus Berlin wäre da nicht gut. Entsprechend genervt sind beide Parteichefs von der Rentendebatte der SPD: „Bitte keine Unsicherheit schüren, das ist meine Anforderung an die SPD“, sagte Kanzlerin Merkel ungewöhnlich deutlich im ARD-Sommerinterview. Auch Seehofer forderte die SPD auf, die Menschen nicht zu verunsichern: „Die Rentenfinanzen sind stabil – auf Jahre hinaus“, sagte er.

Eigene Vorschläge zur Zukunft der Rente will die Union derzeit nicht machen. Sie setzt ganz auf die Kommission, die ihre Vorschläge in zwei Jahren präsentieren soll. Die SPD solle die Arbeit dieser Kommission nicht beeinflussen, warnte Unions-Fraktionschef Volker Kauder. Merkel hob in der ARD hervor, dass man die junge Generation nicht zu stark belasten solle und ansonsten „kreativ und neu denken“ solle.

Hat die Union ihren internen
Asylstreit beigelegt?

Ja, offiziell ist der Streit um die Asylpolitik beigelegt. Seehofer versuchte am Sonntag zwar weiterhin, seinen Standpunkt zu erklären, er sagte aber auch: „Die Diskussion ist abgeschlossen. Dazu stehe ich.“ CSU und CDU hätten einen Kompromiss gefunden, der jetzt umgesetzt werde. Seehofer zeigte sich zuversichtlich, dass er mit Italien ein Asyl-Abkommen vereinbaren könne. Damit sollen Asylbewerber, die in Italien einen Antrag gestellt haben und trotzdem an der deutsch-österreichischen Grenze aufgegriffen werden, wieder nach Italien zurückgeschickt werden. Das Abkommen sei „sehr, sehr weit“ gediehen, so Seehofer. Als Gegenleistung erwarte Italien, dass Deutschland in vergleichbarer Größenordnung Flüchtlinge aufnehme, die im Mittelmeer aus Seenot gerettet werden. Mit Griechenland und Spanien gibt es solche Abkommen bereits.