Berlin.

Sie gilt als Wunschnachfolgerin von Angela Merkel – aber wofür steht Annegret Kramp-Karrenbauer? Die CDU-Generalsekretärin nennt sich selbst ein „klassisches Unionsprodukt“, weil man sie bei unterschiedlichen Fragen in sehr verschiedene Schubladen stecken könne. In der Dienstpflicht-Debatte macht sie einen überraschenden Vorstoß.

Von der Regierungschefin zur Generalsekretärin: Kommen Ihnen manchmal Zweifel, ob Sie den richtigen Schritt getan haben?

Annegret Kramp-Karrenbauer: Überhaupt nicht. Privat fällt es mir natürlich schwer, so viel getrennt zu sein von meiner Familie im Saarland. Aber die Arbeit – gerade am neuen Grundsatzprogramm – macht mir Spaß.

Die CSU hat Ihnen turbulente erste Monate im Adenauer-Haus beschert. Der Asylstreit, der mit besonderer Härte ausgetragen wurde, brachte Bundesregierung und Unionsfraktion an den Rand des Bruchs – und schickte die Union in den Umfragen auf Talfahrt. Wie lange hält jetzt der Burgfrieden?

Auch als Ministerpräsidentin muss man Krisen bewältigen. Die Krise vor der Sommerpause war allerdings von besonderer Intensität. Es war ein leidenschaftlicher Streit, der aber an vielen Stellen über das Ziel hinausschoss. Es ist gegen die Umgangsformen und Anstandsregeln verstoßen worden, die uns als bürgerlich-konservative Partei normalerweise auszeichnen. Es ging um eine Grundsatzfrage: Setzt man auch in einer politischen Drucksituation – und die Migration ist eine solche – auf eine europäische Lösung? Wir haben einen guten, tragfähigen Kompromiss gefunden …

… der eher wie eine Scheinlösung aussieht. Die Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen, die Innenminister Seehofer gerade aushandelt, betreffen nur eine geringe Zahl von Asylbewerbern.

Diese Abkommen regeln die Rückführung von Asylbewerbern, die schon in einem anderen EU-Staat registriert sind. Der größte Brocken liegt noch vor uns: eine Vereinbarung mit Italien. Ich bin aber zuversichtlich.

Ein Erfolg bei der Bayern-Wahl im Oktober könnte die CSU beruhigen. Trauen Sie Ihrer Schwesterpartei zu, dass sie die absolute Mehrheit verteidigt?

CDU und CSU haben das gemeinsame Interesse, dass die CSU ihre wirklich erfolgreiche Arbeit in Bayern als Alleinregierung fortsetzen kann. In den Umfragen ist die CSU im Moment ein Stück von der absoluten Mehrheit entfernt. Aber ich habe selbst eine Reihe von Wahlkämpfen geführt und erlebt, wie schnell Umfragen sich komplett ändern können. Es geht jetzt darum zu kämpfen. Das Rennen in Bayern ist absolut offen. Die CSU ist gut aufgestellt, und mit der notwendigen Mobilisierung all ihrer Kräfte kann sie die absolute Mehrheit der Sitze schaffen.

In mehreren Bundesländern wird Kirchenasyl gewährt. Wie bewerten Sie das?

Diejenigen, die sich in den Kirchen engagieren, können nicht für sich beanspruchen, dass sie außerhalb des nationalen Rechts stehen. Trotzdem hat sich in den vergangenen Jahren der Staat mit den Kirchen darauf verständigt, dass Gemeinden in besonders gelagerten, humanitären Fällen auch Flüchtlinge aufnehmen können – wenn sie bestimmte Regeln befolgen. Zum Beispiel müssen die Gemeinden melden, wer bei ihnen im Kirchenasyl ist …

… wogegen vielfach verstoßen wird. Die Kirchen halten die Regeln für zu streng.

Die Regeln für das Kirchenasyl sind aus meiner Sicht nicht zu streng. Ich halte es für problematisch, wenn einzelne betroffene Kirchengemeinden das jetzt so darstellen. Damit verlassen sie eine vereinbarte Grundlage. Das macht Fälle des Kirchenasyls umso schwieriger.

Die SPD will abgelehnten Asylbewerbern ermöglichen, vom Asylverfahren in die Fachkräfteeinwanderung zu wechseln. Warum sperren Sie sich gegen einen solchen Spurwechsel?

Es gibt auch CDU-Mitglieder, die sagen: Asylbewerber, die lange in Deutschland leben und sich gut integriert haben, sollen bleiben – auch wenn sie vielleicht über ihre Identität getäuscht haben und deswegen abgeschoben werden müssten. Aber wenn das die Regel wird, senden wir ein falsches Signal: Man muss nur lange genug durchhalten, dann kann man bleiben. Deswegen bin ich gegen einen Spurwechsel. Das Asylrecht darf nicht zum Ersatz-Einwanderungsrecht werden. Wir haben schon heute im Asylrecht Sonderregelungen, die einen Verbleib im Arbeitsmarkt und damit in Deutschland ermöglichen; aber die kommen eher selten zur Anwendung. Da müsste man vielleicht noch einmal draufschauen.

Wie soll das geplante Einwanderungsgesetz aussehen?

Es soll zunächst die Einwanderungs­regeln zusammenfassen, die wir heute schon für den deutschen Arbeitsmarkt haben. Außerdem geht es darum, die Zugangskriterien und Verfahren handhabbarer und unbürokratischer zu machen. Ich war jetzt auf der Spielemesse in Köln. Spiele-Entwickler sind sehr kreative Menschen, die aber nicht zwangsläufig ein abgeschlossenes Studium haben. Hier muss ein Einwanderungsrecht so pragmatisch sein, dass auch solche Leute bei einem konkreten Arbeitsplatzangebot nach Deutschland kommen können. Wir haben Bedarf nicht nur bei Top-Wissenschaftlern, sondern auch bei ganz normalen Fachkräften. Ich bin froh, dass die CDU nach langem Ringen erkannt hat, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Jetzt geht es darum, die Einwanderung zu ordnen und zu steuern.

Um das Herz Ihrer Stammwähler zu wärmen, haben Sie eine Wehrpflicht-Debatte losgetreten. Unklar ist geblieben, wofür die CDU jetzt steht …

Auf meiner Zuhör-Tour an der Parteibasis hat sich gezeigt: Viele CDU-Mitglieder haben die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht oder eine allgemeine Dienstpflicht angesprochen. Sie haben den Eindruck, dass Rechte und Pflichten eines Staatsbürgers nicht mehr im richtigen Verhältnis sind – in einer Zeit, in der man den Eindruck hat, dass viele Menschen immer mehr nur auf sich selbst schauen. Ein Dienst an der Gesellschaft und am Vaterland könnte den Zusammenhalt stärken.

Welche Form des Dienstes schwebt Ihnen vor?

Ich stelle mir vor, dass wir für unser Grundsatzprogramm in den nächsten beiden Jahren eine Grundsatzentscheidung treffen. Dafür sollten wir verschiedene Modelle entwickeln. Eines davon werden wir im nächsten Wahlkampf vertreten.

Soll es eine Dienstpflicht werden?

Es gibt in der CDU eine große Sympathie für einen verpflichtenden Dienst. Ich selber bin noch nicht ganz entschlossen. Meine Mutter hat immer davon erzählt, dass sie in der NS-Zeit ein Pflichtjahr absolvieren musste. Das habe ich immer auch im Hinterkopf.

Wie lange soll der Dienst gehen?

Viele der Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch liegen, gehen von einem Jahr Dienst für Männer und Frauen aus. Und sie gehen auch davon aus, dass der Dienst nicht nur für deutsche Staatsangehörige gilt, sondern auch für Flüchtlinge und Asylbewerber, die volljährig sind und in Deutschland leben. Ich halte das für einen überlegenswerten Ansatz. Wenn Flüchtlinge ein solches Jahr absolvieren, freiwillig oder verpflichtend, dient das ihrer Integration in Staat und Gesellschaft. Und in der Bevölkerung würde es die Akzeptanz erhöhen, dass Flüchtlinge bei uns leben.

Sehen Sie eine Partei, die ein solches Dienstjahr mittragen würde?

Das wird von dem Modell abhängen, das wir wählen. Für den Grundgedanken gibt es in der Anhängerschaft verschiedener Parteien viel Sympathie.

„Wunschnachfolgerin von Angela Merkel“ – wie lebt es sich eigentlich mit diesem Titel?

Manches Interview wäre ein bisschen leichter, wenn es diesen Titel nicht gäbe. Ich kann diese Bezeichnung aber auch nicht aus der Welt radieren. Angela Merkel und ich können beide ganz gut damit leben.

Hat es Jens Spahn leichter auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur?

Ich finde, dass Jens Spahn eine gute Arbeit macht als Gesundheitsminister.

Ist es ausgemacht, dass Merkel beim Parteitag im Dezember noch einmal als Vorsitzende kandidiert?

In Hamburg wird die gesamte Parteispitze neu gewählt. Über Personalien haben wir in den Gremien überhaupt noch nicht gesprochen. Es hat sich aber bewährt, die Ämter der Kanzlerin und der Parteivorsitzenden in einer Hand zu halten.

Auf welchen Kurs wollen Sie die CDU bringen?

Die große Herausforderung ist, die CDU als Volkspartei für die Zukunft zu bewahren. Die Stärke der Union seit ihrer Gründung liegt darin, dass sie für sehr unterschiedliche Flügel eine politische Heimat ist. Ich bin ein klassisches Unionsprodukt, weil man mich bei unterschiedlichen Fragen in sehr verschiedene Schubladen stecken könnte. Wir müssen deutlich machen, dass wir die Volkspartei der Mitte sind. Wir müssen uns so breit aufstellen, dass sich möglichst viele bei uns zu Hause fühlen.