Rom. Die Regierung in Rom reagiert auf den Einsturz der Autobahnbrücke in Genua mit wilden Schuldzuweisungen – auch an die Adresse der EU

    Rettungskräfte und Spürhunde suchen in den Trümmern der eingestürzten Autobahnbrücke in Genua noch immer fieberhaft nach Vermissten, während Politiker jede Verantwortung von sich weisen. Noch bevor die Toten beerdigt sind, bezichtigen in Italien Regierung und Opposition sich gegenseitig oder suchen die Schuldigen für die Tragödie bei den Autobahnbetreibern und in Brüssel.

    Die Regierung in Rom machte am Freitag ernst und entzog dem Betreiber Autostrade per l’Italia die Konzession. Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte, das Verkehrs- und Infrastrukturministerium habe sich in einem offiziellen Schreiben an Autostrade gerichtet, um den Entzug der Erlaubnis zum landesweiten Betrieb der Autobahnen einzuleiten. „Das Desaster verpflichtet uns neue Initiativen zu ergreifen, die drastischer sind als die vorheriger Regierungen.“ Die Regierung in Rom hatte den Betreiber für das Unglück am Dienstag verantwortlich gemacht. Dabei waren mindestens 38 Menschen ums Leben gekommen. Am Freitag wurde immer noch fünf Menschen unter den Trümmern vermisst.

    Die Zeitungen „La Stampa“ und „Repubblica“ berichteten, eine von Autostrade in Auftrag gegebene Studie der polytechnischen Universität Mailand habe auf Zweifel an der Stabilität der Brücke hingewiesen. In der Expertise vom November 2017 würden vor allen die von Beton ummantelten Stahlträger und Spannseile der Brücke als Sicherheitsrisiko bezeichnet. In dem Teil der Brücke, die kollabierte, hätten die Träger abnormal auf Vibrationen reagiert. Dies sei möglicherweise auf Korrosion zurückzuführen und müsse weiter untersucht werden, zitierten die Zeitungen aus dem Bericht.

    Bereits in den ersten Stunden nach dem Einsturz der Brücke hatte Innenminister Matteo Salvini von der Lega-Partei die EU für das Unglück verantwortlich gemacht. Die EU-Kommission reagierte auf seine Behauptung, Italien könne Schulen und Brücken wegen der Brüsseler Defizitregeln nicht instand setzen, mit einer Klarstellung: „Italien ist einer der wichtigsten Nutznießer der Flexibilität innerhalb des Stabilitäts- und Wachstumspaktes.“

    Die EU ist Schuldzuweisungen für eigene Versäumnisse aus Rom gewöhnt. Zuletzt hatte der Sozialdemokrat Matteo Renzi sich immer wieder darin geübt, abwechselnd die EU und Berlin für einen angeblich von ihnen Italien aufgezwungenen Sparkurs verantwortlich zu machen. Dieser hemme das Wachstum und treibe die Arbeitslosigkeit in die Höhe, hatte der als „Verschrotter“ der alten Eliten angetretene Ministerpräsident immer wieder betont. Die Anschuldigung passt ins politische Konzept, ihr fehlt aber Substanz. Denn Italien könne wie alle EU-Mitgliedsstaaten politische Prioritäten im Rahmen der Haushaltsregeln festlegen, stellt die EU-Kommission klar. Aus dem Europäischen Struktur- und Investitionsfonds erhält Italien im Haushaltsrahmen 2014 bis 2020 die Summe von 2,5 Milliarden Euro. Renzi gehört zu denjenigen, die die aktuelle Regierung für das Unglück von Genua verantwortlich macht. Der stellvertretende Ministerpräsident Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Partei bezichtigt dessen ehemalige Regierung, die Lizenz für den Autobahnbetreiber im Gegenzug für Wahlkampffinanzierung praktisch über Nacht unter Ausschluss der Konkurrenz verlängert zu haben.

    Verkehrsminister Danilo Toninelli, einst selbst Gegner der Entlastungsstrecke, kündigte nun eine Überprüfung sämtlicher Brücken und Stauseen in Italien an. Auch vor dem Brückeneinsturz war der Staat dafür verantwortlich, Pläne für Wartungsarbeiten an privat betriebenen Infrastrukturen wie Viadukten zu genehmigen und deren korrekte Durchführung zu überprüfen. Autostrade per l’Italia, die knapp die Hälfte des 5800 Kilometer umfassenden Autobahnnetzes betreibt, versichert, die vorgesehenen Mittel in Instandhaltung und Ausbau investiert zu haben. Sollten die Autobahnen verstaatlicht werden, müsste Italien für den Bau der in den Bergen besonders teuren Strecken aufkommen.