Tunis.

Sofiène Sliti, Sprecher der für Terrorismus zuständigen Staatsanwaltschaft in Tunis, zeigte sich unbeeindruckt von dem Urteil des Oberverwaltungsgerichtes in Münster. Sami A. sei tunesischer Staatsbürger und stehe allein unter der Hoheit der tunesischen Justiz, erklärte er am Donnerstag unserer Redaktion. „Im Anti-Terror-Gesetz unseres Landes ist eindeutig geregelt, dass nur die tunesische Justiz für mögliche Terrortaten zuständig ist – egal, ob sie innerhalb oder außerhalb Tunesiens verübt wurden.“ Das Ganze sei daher eine Frage des tunesischen Rechts und der staatlichen Souveränität Tunesiens.

Der von den deutschen Sicherheitsbehörden als islamistischer Gefährder eingestufte Sami A. war am 13. Juli nach Tunesien abgeschoben worden. Zu Unrecht, wie das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) am Mittwoch letztinstanzlich entschied. Die deutschen Behörden müssen den 42-Jährigen nun zurückholen.

Wenn sich Sami A. etwas habe zuschulden kommen lassen, werde das vor einem tunesischen Gericht geklärt und nicht in Deutschland, sagte dagegen Sliti. Bis heute jedoch sei kein offizielles Ersuchen von deutscher Seite eingegangen, Sami A. auszuliefern. Abgesehen davon gebe es derzeit „in rechtlicher wie in praktischer Hinsicht“ keine Möglichkeit für Sami A., auf eigene Faust nach Deutschland zurückzureisen. Gegen ihn laufe ein Ermittlungsverfahren, sein Reisepass sei abgelaufen und von den Behörden konfisziert worden. Gleichzeitig wies der Sprecher der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft den Verdacht zurück, Sami A. müsse bei Verhören oder erneuter Haft mit Folter rechnen. „Das wird nicht geschehen“, erklärte er. Die tunesische Justiz sei unabhängig, und solche Praktiken seien nicht erlaubt.

Der von den deutschen Behörden abgeschobene Islamist Sami A. war am 13. Juli vom Flughafen Enfidha aus zunächst in ein Untersuchungsgefängnis in Tunis gebracht worden. Nach zwei Wochen kam er auf Anordnung des ermittelnden Richters vorläufig auf freien Fuß. Seitdem ist Sami A. von der Bildfläche verschwunden, während sein Verteidiger betont, die tunesische Justiz habe gegen seinen Mandanten nichts in der Hand.

Auch wenn die tunesische Seite Übergriffe und Missstände ihrer Polizei bestreitet, sehen Menschenrechtsorganisationen nach wie vor erhebliche Defizite. Willkürliche Verhaftungen und Folter bei Verhören seien an der Tagesordnung, beklagte Amnesty International Anfang 2017 in einer umfassenden Dokumentation. „Wir wollen ein Ende der Furcht.“ Menschen berichten in dem Text von schweren Misshandlungen, Elektroschocks, Schlafentzug und sexuellem Missbrauch. Man könne zwar nicht mehr von einer systematischen, staatlichen Politik sprechen wie unter dem Regime von Ben Ali, erläuterte Camille Henry, Mitarbeiterin der „Weltorganisation gegen Folter“ (OMCT) in Tunis. „Aber es handelt sich um eine weiter hartnäckig andauernde Praxis.“ Allein 2017 meldeten sich 52 Opfer bei den tunesischen Beratungszentren der OMCT, die auf einer Wache der Polizei, der Nationalgarde oder von Gefängniswärtern misshandelt worden waren. Insgesamt betreuten Psychologen und Sozialarbeiter der Organisation in den letzten vier Jahren 300 Betroffene.

In Deutschland hat der Fall Sami A. eine kontroverse Debatte über die Unabhängigkeit der Justiz losgetreten. Nordrhein-Westfalens ranghöchste Richterin Ricarda Brandts machte der Politik schwere Vorwürfe. Die Behörden hätten der Justiz Informationen vorenthalten, um eine rechtzeitige Entscheidung der Richter zu verhindern. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hingegen warf den Richtern vor, sie hätten das Rechtsempfinden der Bevölkerung nicht ausreichend im Blick.

Der Deutsche Anwaltverein reagierte empört. „Es ist Zeit, dass die staatlichen Behörden die Entscheidung des OVG vorbehaltlos anerkennen und nicht nachtreten“, erklärte Präsident Ulrich Schellenberg. Reuls Aussage sei „höchst unangemessen“. Der Oppositionsführer im NRW-Landtag, Thomas Kutschaty (SPD), attestierte Reul ein „gestörtes Verhältnis zur Justiz und zum Rechtsstaat“.