Berlin.

Es ist die erste Erfolgsmeldung seit Langem. Am Montag fallen von Horst Seehofer (CSU) die letzten Zweifel ab, am Mittwoch macht er den Vertrag mit Spanien publik, der am Sonnabend in Kraft tritt. Fortan darf die Bundespolizei an der Grenze binnen 48 Stunden Migranten zurückweisen, die in Spanien Asyl beantragt haben – eine Regelung für die „Sekundärmigration“.

Auf den Vertrag hatten der Innenminister und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seit Ende Juni gewartet: Sie hatte die Spanier überredet, er sollte die Details binnen vier Wochen klären.

„Das war eine Menge politischer Schaum“

Dass es länger dauerte, kann Merkel verschmerzen. Hauptsache, ihr Prinzip blieb intakt: kein nationaler Alleingang. Zwar erwarten die Spanier, dass Deutschland ihnen Migranten im Zuge der Familienzusammenführung abnimmt – fixiert wurde es aber nicht. Von spanischer Seite wurden keine Gegenleistungen gefordert.

Es ist der erste Vertrag, aber schon die zweite Verabredung, nachdem Österreich zugesichert hatte, Sekundärmigranten zurückzunehmen. Die ganz große Entlastung ist es nicht. Bei allen Asylanträgen zählten die Behörden in den ersten sechs Monaten 483 „Treffer“ aus Österreich und 895 aus Spanien. Zum Vergleich: Allein im Juli wurden 15.000 Asylanträge gestellt. Auf Griechenland und Italien kommt es schon eher an. Beide verhandeln zäher als die Spanier, pochen laut Seehofer darauf, „dass wir andere Flüchtlinge von ihnen nach Deutschland übernehmen.“ Seine Sorge ist, dass Deutschland mehr Leute aufnimmt, „als wir an der Grenze zurückweisen. Das kann ja nicht im Ernst der politische Wille sein“. Ursprünglich wollte er bis Ende Juli oder Anfang August Klarheit haben. Nun verzögert sich alles – umso wichtiger, dass der jetzige Abschluss Hoffnung für die weiteren Verhandlungen macht; gar helfen könnte, das Verhältnis zur Kanzlerin zu entkrampfen. Vor zwei Monaten stand der Minister vor einer verhängnisvollen Alternative: Rausschmiss oder Rücktritt.

Der Deal mit Spanien ist ein Erfolg, den ihm viele nicht mehr zugetraut haben. Über die Verhandlungen in Europa spottete die FDP, „aus der Achse der Willigen scheint inzwischen eine Achse der Abwartenden geworden zu sein“. Einen „Ankündigungsminister“ nannte ihn die AfD. Seehofers SPD-Koalitionspartner Ralf Stegner wusste auch das zu toppen: „ein Totalausfall“, twitterte er.

„Eine Menge“ hatte sich der Minister des Innern, für Bau und Heimat bei Amtsantritt im Mai vorgenommen, aber nicht realisieren können, analysiert der Vizechef der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek. „Das war eine Menge politischer Schaum, der geschlagen wurde.“

Hintenan steht – eine Ironie – die Heimat, zusätzliche Kompetenz und eigentlicher Clou der Neuvermessung des Innenministeriums. Wer ins Organigramm des Hauses schaut, erkennt: Die Chefposten von zwei der drei Unterabteilungen und sieben der 19 Referate sind unbesetzt. Die Heimat muss warten. Als Bauminister hat Seehofer nach seinen Worten „das größte Wohnungsbauprogramm aufgelegt, das es in der Geschichte der Deutschen gab“: 2,5 Milliarden Euro mehr für den sozialen Wohnungsbau, Baukindergeld, steuerliche Abschreibungen von frei finanziertem Wohnungsbau für vier Jahre auf fünf Prozent und Städtebauförderung in Milliardenhöhe. Für September lud er zum „Baugipfel“ ein. Solche Erfolge gehen unter, weil er sich auf die Flüchtlingspolitik fokussiert hat und es auf den Streit mit Merkel ankommen ließ.

Die Zahl der Abschiebungen, die er forcieren wollte, bewegt sich auf Vorjahresniveau. Seine unbekümmerte Freude über Abschiebungen hat ihn Sympathien gekostet. Seehofer fühlt sich verkannt und unfair behandelt. Ende Juni hielt er Journalisten „20, 25 Fake-News“ über ihn vor. „Wie ein Mini-Trump“ agiere der Innenminister, ätzt Grünen-Fraktionschef Toni Hofreiter. Immer wieder durchkreuzen die Grünen Seehofers Pläne. Sie blockieren im Bundesrat sein Vorhaben, Marokko, Tunesien, Algerien und Georgien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären.

Alles reflexhaft abzulehnen sei ein „durchsichtiges politisches Manöver“, rügt CDU-Innenpolitiker Armin Schuster. „Die vier Länder haben keine nennenswerten Asyl-Schutzquoten, aber Täter aus diesen Staaten führen unsere Kriminalitätsstatistiken an.“ Nicht gut zu sprechen ist er auf den Parteichef der Grünen: „Auch ein Robert Habeck sollte bei seinen allwöchentlich inszenierten Angriffen auf den Innenminister seriös bleiben.“ Schmerzlicher ist, dass sich Seehofer nicht auf die eigenen Leute verlassen kann. Für eine weitere Idee, um Asylverfahren zu beschleunigen, findet er nur in Bayern Unterstützer: Die ersten Ankerzentren gehen dort in Betrieb. Bis auf Sachsen halten sich alle anderen Länder bedeckt. Im Kreis der Innenminister, seinen natürlichen Verbündeten, hat er keinen leichten Stand. „Seehofer konzentriert sich auf öffentlichkeitswirksame Symbole“, sagt Holger Stahlknecht (CDU) aus Sachsen-Anhalt im „Spiegel. „Das halte ich im Bereich der inneren Sicherheit für gefährlich.“

Eine regelrechte Wut hat sich im Seehofer-Lager über den hessischen Regierungschef Volker Bouffier (CDU) aufgestaut, ein ehemaliger Innenminister, der jahrelang im Ruf eines konservativen Hardliners stand. Seit er mit den Grünen regiert, hält sich Bouffier zurück. Weder bemüht er sich um die Ankerzentren noch nimmt er seinen Koalitionspartner bei der Frage der sicheren Herkunftsstaaten in die Pflicht. Warum wird Seehofer so hängen gelassen? Schuster deutet an, woran das liegen könnte: „Das Unions-Ballyhoo der letzten Monate hat die Dinge natürlich nicht leichter gemacht.“ Er sagt auch: „Dass der Minister sich beim Thema Ankerzentren alleingelassen fühlt, kann ich nachvollziehen.“ Es gebe für sie einen Beschluss der Unionsparteien, den sie in den Koalitionsgesprächen verhandelt hätten. „Wir haben damit im Koalitionsvertrag eine Lösung geschaffen, die von etlichen Sachverständigen empfohlen wird und den viel gelobten Modellen in Holland und in der Schweiz sehr nahekommt. Jetzt, wo die schnelle Umsetzung ansteht, drücken sich viele. Dafür fehlt mir jedes Verständnis.“

Er und Bayern haben geliefert, aber was ist mit der Kanzlerin?

Seehofer sendet Notrufsignale aus. Mal gibt er im Bundestag zu Protokoll, dass Merkel Verhandlungen mit EU-Staaten zur Chefsache machen solle. Mal erinnert er im ARD-Interview daran, dass die Ankerzentren von den Experten von Union und SPD verhandelt worden sind. „Ich konnte ja damals noch gar nicht damit rechnen, dass ich Bundesinnenminister werden würde.“ Nun müssten die Parteichefs dafür sorgen, dass die Ankerzentren durchgesetzt würden.

Als CSU-Chef hat er geliefert. Was ist mit Merkel? Seehofer erzählt, wie sie sich im CDU-Vorstand bei ihren Ministerpräsidenten für Ankerzentren eingesetzt habe: „Du, ich habe wieder für die Ankerzentren das Wort ergriffen.“ Er möchte gern daran glauben.