Noch im vergangenen Jahr tönte Ryanair-Chef Michael O’Leary in seiner gewohnt großspurigen Art, eher friere die Hölle zu und er hacke sich die Arme ab, bevor er mit Gewerkschaften spreche. Monate später musste sich sein Unternehmen doch mit Arbeitnehmervertretern an einen Tisch setzen. Der in jüngster Zeit aufkommende Personalmangel hat die Machtverhältnisse in der Luftfahrt deutlich verändert. Zwar blieb der Warnstreik der deutschen Ryan­air-Piloten im vergangenen Dezember noch weitgehend ohne Folgen. Doch nun zeigt diese Berufsgruppe auch dem irischen Billigflieger, welche Macht sie haben kann.

Jahrelang profitierte Ryanair von der Lage am Arbeitsmarkt: Viele junge Piloten mussten nach ihrer selbst bezahlten Ausbildung um eine Einstellung bangen. Heute umwerben die Fluggesellschaften wieder den Nachwuchs. Gerade in Deutschland ist nach der Pleite von Air Berlin ein neuer Wettkampf am Himmel ausgebrochen. Auch in anderen europäischen Ländern leisten sich die Menschen immer mehr Flugreisen – dafür brauchen die Airlines Maschinen und Personal. Schon im vergangenen Sommer rühmte sich etwa der Billigflieger Norwegian damit, 140 Piloten von seinem größten Rivalen Ryanair abgeworben zu haben.

Wenn die Ryanair-Piloten am Freitagmorgen in vier europäischen Ländern ihren Dienst nicht antreten, ist das der größte Arbeitskampf in der Geschichte des Billigfliegers. Zehntausende Urlauber werden festsitzen. Viele von ihnen wohl auch an den Folgetagen, bis Ryanair ihnen einen Ausweichflug anbieten kann. Sie werden die Piloten verdammen. Jetzt, mitten in der Urlaubszeit, könnte der Schaden für die Fluggesellschaft kaum größer sein. Das wissen die Piloten natürlich. Damit ein Streik wirksam ist, muss er irgendwen treffen – auch wenn es Familien sind, die gerade die schönste Zeit des Jahres verbringen wollen.

So verständlich der Frust und die Wut der Reisenden sind, so sind es auch die Forderungen der Piloten. Hier geht es nicht um abgehobene Gehaltsforderungen einer elitären Berufsgruppe. Die zweifelhaften Arbeitsbedingungen bei Ryanair, die besonders billige Flugtickets erst möglich machen, sind seit Jahren einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Auf Solidarität der Passagiere mussten die Mitarbeiter also nie hoffen – hatten Reisende ihren Flug doch gerade wegen der niedrigen Preise bei Ryan­air gebucht. Jetzt, in der Boomphase der Luftfahrt, haben die Piloten und Flugbegleiter einen Hebel gefunden, um ihre Situation zu verbessern.

„No frills“, keine Kinkerlitzchen, lautet das Konzept von Ryanair, um die Kosten kleinzuhalten. Tomatensaft, ein Sandwich oder auch nur ein Mineralwasser kosten extra, genauso wie das Mitnehmen von Handgepäck in die Kabine oder das Ausdrucken des Tickets am Schalter. Der Billigflieger nutzt alle Tricks, um zusätzliche Einnahmen zu generieren – wer sich an alle Regeln hält, kommt tatsächlich sehr günstig in den Urlaub.

Doch Ryanair setzt eben auch auf besonders niedrige Personalkosten. Hat sich die Fluggesellschaft in den vergangenen Monaten tatsächlich, wie von der Gewerkschaft behauptet, keinen Millimeter bewegt, trifft sie die volle Schuld an der Eskalation im Tarifstreit mit ihren Piloten. Trifft es außerdem zu, dass die Manager nur ein Papier unterzeichnen wollen, das keine Mehrkosten bedeutet, ist das für einen der profitabelsten Luftfahrtkonzerne reichlich dilettantisch.

Das bekommen die an Billigstpreise gewöhnten Kunden nun zu spüren. Und das vermutlich nicht zum letzten Mal in diesem Jahr, sollten die Iren nicht schnell einlenken. Die Flugbegleiter sind als Nächste dran.

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