Brüssel.

Es sind Zahlen, die den Parteistrategen in Deutschland den Schrecken in die Glieder fahren lassen. 57 Prozent der wahlberechtigten Bundesbürger könnten sich vorstellen, eine neue Mitte-Bewegung zu wählen, wie sie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor zwei Jahren mit Riesenerfolg ins Leben gerufen hat. Macron vertrauen die Deutschen auch schon mehr als Kanzlerin Angela Merkel (CDU), das hat eine Umfrage im Auftrag dieser Zeitung ergeben.

Macrons Bewegung wird nicht in Deutschland antreten

Hatte Macron nicht bei seiner Rede im vergangenen September in der Sorbonne-Universität einen klaren Anspruch markiert? „Den großen europäischen Parteien werde ich nicht das Monopol für die Debatte zu Europa und den Europawahlen überlassen“, erklärte der Präsident.

Bei Union und SPD ist die Unruhe groß: Wo Macron auftrete, seien die Hallen voll, erklärte CDU-Grande und EU-Kommissar Günther Oettinger kürzlich besorgt. Knapp ein Jahr vor den Wahlen im Mai 2019 gibt es Entwarnung von Macrons Truppen in Deutschland: Seine Partei hat zwar engagierte Unterstützer hierzulande, sie wird aber nach eigenen Angaben zur Europawahl nicht in Deutschland antreten. Für die deutschen Parteien nur ein halber Trost: Nach der Europawahl dürfte Macron trotzdem die Parteienlandschaft aufmischen.

Macrons Basis in Deutschland ist bislang überschaubar: Rund 1600 Mitglieder zählt „La République en Marche“ (LaREM) in Deutschland und Österreich nach eigenen Angaben. Von Expansionsplänen will man im deutschen Vorposten partout nichts wissen: LaREM Deutschland/Österreich betrachte sich als Auslandsorganisation der französischen Partei, die sich vor allem an die mehreren Hunderttausend Franzosen in Deutschland richte, heißt es.

Macron will jedoch die klassische Rechts-links-Spaltung im Parlament aufheben – in Europa verspricht er sich dadurch eine neue Dynamik pro-europäischer Kräfte. Die Europawahl ist enorm wichtig für ihn, es ist der erste große Stimmungstest nach seiner Wahl im Mai 2017. „Unsere Absicht ist es, zur Wahl 2019 ein Projekt vorzuschlagen, das ein wirklich reformiertes, ein wirklich neu gegründetes Europa bedeutet“, kündigt Macron an. Große Schritte will die sozialliberale Reformpartei im neu gewählten EU-Parlament machen. 20 bis 30 der insgesamt 78 französischen Mandate dürfte Macrons Partei erhalten.

Als ausgeschlossen gilt, dass sich diese Abgeordneten einer der beiden großen Fraktionen der Christdemokraten (EVP) und der Sozialdemokraten (S&D) anschließen. „Ein Bündnis mit der alten politischen Klasse würde den Nimbus, etwas ganz Neues zu versprechen, gefährden“, heißt es in der EVP, die vergeblich um Macrons Partnerschaft gebuhlt hatte. Der CDU-Politiker Oettinger bezeichnete Macron im „Spiegel“ als „Mitbewerber“. Um eine eigene Fraktion zu bilden, bräuchte die Pro-Europa-Truppe aber 25 Abgeordnete aus sieben EU-Staaten. Sehr wahrscheinlich wird sich LaREM mit anderen zusammentun. Die Rede ist von einer „Plattform“, die „Europa retten“ soll. Ernsthafte Bündnispartner gibt es: Spaniens Ciudadanos-Bewegung, nach Umfragen stärkste Kraft im Land, hat Macrons Emissären bereits Zusagen gemacht. Auch der rechte Flügel der italienischen Mitte-Links-Partei PD mit Ex-Premier Matteo Renzi könnte dazukommen.

Die Liberalen im Europa-Parlament, die sich in der Alde zur viertgrößten Fraktion zusammengeschlossen haben, setzen dem Vernehmen nach fest darauf, Macron als Bündnispartner zu gewinnen. Macrons engste Verbündete in Frankreich, die MoDem, gehört der Alde-Fraktion schon an. Auch die FDP hat sich bereits angeboten. Bei einem Treffen vor einer Woche in Paris sei klar geworden, dass „die FDP der Bewegung En Marche von allen deutschen Parteien inhaltlich am nächsten steht“, sagte Liberalenchef Christian Lindner dieser Redaktion. Ein Vertreter von En Marche sagte unserer französischen Partnerzeitung „Ouest-France“, „dass Kontakte zu anderen deutschen Parteien existieren“. Das treffe auf die Sozialdemokraten zu, „aber nicht nur“. Der frühere SPD-Chef Martin Schulz fühlte kürzlich bei Macron in Paris über eine mögliche Kooperation mit En Marche vor. Auch die Vorsitzende, Andrea Nahles, steht einer Zusammenarbeit mit Macrons Liste im EU-Parlament grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber.

Doch wird auch spekuliert, dass Macron es auf eine Spaltung der Alde-Gruppe anlegt – und mit einem Teil der Liberalen, ergänzt um Abgeordnete von Christdemokraten und Sozialdemokraten, eine ganz neue Allianz schmiedet. Denkbar, dass diese Gruppe dann bei komplizierten Mehrheitsverhältnissen sogar eine entscheidende Rolle bei der Kür des nächsten Kommissionspräsidenten spielen könnte. Einzelne Abgeordnete der großen Parteien wurden bereits von Macrons Brüsseler Helfern angesprochen, entsprechend groß ist der Ärger. Macron gibt sich entschlossen: „Es ist absolut möglich, eine eigene Fraktion zu bilden“, hat er vor einigen Monaten in Paris verkündet, „und ich denke, die Europäischen Reformer haben einen gewissen Ruf, andere Bewegungen um sich herum zu bündeln.“