Berlin.

Um Punkt 14 Uhr endete am Sonnabend der Countdown, öffnete sich die Internetseite mit 18 Unterstützer-Porträts und knarzte aus den Lautsprechern die Stimme von Bob Dylan. Sahra Wagenknecht und ihre Mitstreiter entschieden sich zum Online-Start ihrer linken Sammlungsbewegung „Aufstehen“ für Dylans Hymne „The Times They Are a-Changin’“. Mit ihr sprach der Sänger in den 1960er-Jahren einer ganzen Generation aus dem Herzen, die von Rassentrennung, Krieg und sozialer Ungleichheit in den USA genug hatte.

Nun will Wagenknecht, Fraktionschefin der Linkspartei, die mit Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine verheiratet ist, in Deutschland parteiübergreifend Menschen mobilisieren, „die mit der herrschenden Politik unzufrieden sind und sich eine Erneuerung des Sozialstaats und eine friedliche Außenpolitik wünschen“. Beim Parteitag der Linken kassierte sie im Juni in Leipzig für ihre harte Linie in der Flüchtlings- und Migrationspolitik, deren Rhetorik oft nicht weit weg von der AfD ist, eine Niederlage: Die Übernahme der Parteispitze rückte für Wagenknecht in weite Ferne.

Nun also eine Sammlungsbewegung, inspiriert von Vorbildern wie Bernie Sanders in den USA, dem französischen Sozialisten Jean-Luc Mélenchon oder Jeremy Corbyn in Großbritannien. Wagenknecht und Lafontaine, der 1999 mit der SPD brach und schon lange mit einer populistischen Graswurzelbewegung liebäugelt, glauben, dass die Zeit günstig sei, um links der Mitte eine kritische Masse zu bilden, die zu einem ernsthaften Player auf Bundesebene werden könnte. „Eine neue Regierung, die endlich wieder für die Mehrheit der Bevölkerung Politik macht und nicht für Wirtschaftslobbyisten, ist das Ziel von ,Aufstehen‘“, sagt eine selbstbewusste Wagenknecht dieser Redaktion. Nur: Aus den Reihen von SPD, Grünen und Linkspartei schallt ihr überwiegend harsche Ablehnung entgegen. Die 49-Jährige ist sich dessen bewusst:. „Solange die SPD an der Agenda 2010 festhält und auch die Grünen nichts wesentlich anders machen wollen als Frau Merkel, ist Rot-Rot-Grün für die Wähler kein attraktives Projekt.“

Kürzlich traf sich Wagenknecht mit SPD-Chefin Andrea Nahles immerhin zum Essen. Die startete als Juso-Chefin einst auch ganz weit links, ist aber inzwischen in der Mitte angekommen. Eine Zusammenarbeit mit Teilen der Linken und Wagenknecht gilt für Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz als illusorisch, weil es unüberbrückbare Differenzen in der Europa-, Außen- und Sicherheitspolitik gibt. 2013 hatte die SPD unter Sigmar Gabriel zwar ihr Verhältnis zur Linkspartei normalisiert und per Leipziger Parteitagsbeschluss Bünd­nisse für möglich erklärt. Doch bis auf einzelne Partnerschaften auf Länderebene (Berlin, Thüringen) kam nicht viel heraus.

Nur bei der „Ehe für alle“ fraternisierte die SPD im Bundestag mit Grünen und Linken, um es Kanzlerin Merkel zu zeigen. Mittlerweile ist Rot-Rot-Grün von Mehrheiten meilenweit entfernt. Selbst SPD-Vize Ralf Stegner vom linken Flügel kann mit Wagenknechts Liste nicht viel anfangen. Zwar seien progressive Mehrheiten diesseits von CDU und CSU notwendig in einem Europa, das nach rechts drifte. „Sogenannte Sammlungsbewegungen sind keine überzeugende Antwort. Schon gar nicht, wenn sie eher dem Egotrip notorischer Separatisten entspringen“, sagte Stegner dieser Redaktion. Für die SPD ist „Aufstehen“ dennoch eine Gefahr. Jenes Drittel der Mitglieder, das gegen die große Koalition stimmte, könnte für Wagenknechts Sirenengesang anfällig sein. Dazu kommt die Konkurrenz von AfD und Grünen. In Bayern liegt die Öko-Partei schon klar vor der SPD.