Washington/Ankara.

und Gerd Höhler

Der kumpelhafte „fist bump“ – die Begrüßung mit der Faust, die Donald Trump beim jüngsten Nato-Gipfel in Brüssel dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angedeihen ließ – täuschte. Die inszenierte Männerfreundschaft zwischen dem US-Präsidenten und dem von ihm bewunderten Autokraten vom Bosporus ist in einen beinharten Konflikt umgeschlagen. Weil Erdogan den aus Black Mountain im US-Bundesstaat North Carolina stammenden Pastor ­Andrew Brunson (50) nicht freilässt, hat das Weiße Haus zwei Minister des Nato-Partnerlandes mit Wirtschaftssanktionen belegt und weitere Strafaktionen angekündigt. Brunson wird in der Türkei Kollaboration mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Bewegung des im US-Exil lebenden islamischen Geistlichen Fethullah Gülen vorgeworfen. Erdogan macht seinen früheren Weggefährten Gülen für den gescheiterten Putschversuch am 15. Juli 2016 verantwortlich und verlangt dessen Auslieferung.

„Wir lassen uns nicht erpressen“

Die Regierung in Ankara reagierte empört auf die US-Strafmaßnahmen. Das Außenministerium sprach von einer „respektlosen Einmischung“ in das türkische Rechtssystem. Die Türkei werde auf die Sanktionen „unverzüglich reagieren“, hieß es in der Erklärung. Welche Gegenmaßnahmen Ankara plant, ist bisher allerdings unklar. In türkischen Medien wurde darüber spekuliert, dass Ankara das Vermögen von US-Ministern in der Türkei einfrieren könne.

Trumps Aktion geht nach Schilderung von Regierungsoffiziellen in Washington auf zwei Kernaspekte zurück. Danach fühlt sich der US-Präsident von Erdogan „betrogen“. Schließlich hatten sich die USA bei der israelischen Regierung für die Freilassung einer türkischen Staatsbürgerin eingesetzt, die für die Terrororganisation Hamas gearbeitet haben soll. Im Gegenzug erwartete Washington, dass der seit über 20 Jahren in Izmir als Missionar tätige Brunson, der monatelang inhaftiert war, in Freiheit kommt. Die türkische Justiz setzte ihn unter Hausarrest. Erdogan, so heißt es in Regierungskreisen, wolle Brunson als „Faustpfand“ behalten und so die Auslieferung des im Exil im Bundesstaat Pennsylvania lebenden Geistlichen Gülen erreichen. Tatsächlich hatte Erdogan selbst einen Zusammenhang zwischen Brunson und Gülen hergestellt. Schon im September 2017 hatte der türkische Staatschef den USA angeboten: „Auch ihr habt einen Pastor – gebt ihn heraus. Dann werden wir euch den amerikanischen Pastor geben.“ „Wir lassen uns nicht erpressen“, sagen Trump-Berater. Eine Auslieferung Gülens, die schon unter Vorgänger Obama nie zur Debatte gestanden hatte, sei nicht geplant. Dazu kommt: Unterstützt vom tiefgläubigen Vizepräsidenten Mike Pence, der sich dem presbyterianischen Pastor Brunson verpflichtet fühlt, zielt Trumps Attacke auf türkische Kabinettsmitglieder vor allem auf die evangelikale US-Kernwählerschaft ab, die jeden Schritt der Regierung auf dem Feld der Religion mit Argusaugen registriert und die schärfere Gangart gegenüber Erdogan begrüßt. Trump agiere „im Namen eines unschuldigen Amerikaners, der von Tyrannen in der Türkei festgehalten wird“, sagte Tony Perkins vom einflussreichen Family Research Council.

Vor diesem Hintergrund treiben die Spannungen zwischen den Nato-Partnern auf einen neuen Höhepunkt zu. Die wirtschaftlichen Konsequenzen der Eskalation zeigten sich sofort. Die Lira verlor gegenüber dem Dollar mehr als zwei Prozent: Erstmals mussten die Türken am Donnerstag mehr als fünf Lira für einen Dollar bezahlen. Seit Anfang 2018 hat die türkische Währung bereits mehr als ein Viertel ihres Außenwerts verloren. Die Istanbuler Börse brach um drei Prozent ein. Für die ohnehin angeschlagene türkische Wirtschaft und das Vertrauen der Investoren ist der Streit mit Washington Gift. Das Land ist zum Ausgleich seiner defizitären Leistungsbilanz auf Kapitalzuflüsse aus dem Ausland angewiesen. Bleiben diese aus, könnte der Türkei eine Zahlungsbilanzkrise drohen.

Die Entwicklung ist umso ernster, als der Streit um Pastor Brunson nur einer von mehreren Konflikten ist. In der Vergangenheit lagen die USA und die Türkei beim Umgang mit der kurdischen Volksmiliz YPG über Kreuz. Für Washington waren die Kurden die wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien. Ankara sah in der YPG einen Ableger der PKK. Auch in Wirtschafts- und Militärfragen gibt es tiefe Meinungsverschiedenheiten. Der staatlichen türkischen Halk Bank drohen in den USA Milliardenbußen, weil das Institut die Iran-Sanktionen umgangen haben soll. Ein Ex-Manager der Bank wurde deswegen in New York zu einer langen Haftstrafe verurteilt, ein früherer türkischer Wirtschaftsminister wird von den USA mit Haftbefehl gesucht. Und dann ist da auch noch die Affäre um Erdogans Rüstungspläne: Der türkische Staatschef will russische Flugabwehrraketen des Typs S-400 beschaffen. Westliche Militärs fürchten, dass Russland als Gegenleistung Einblicke in die Sicherheitsarchitektur der Nato bekommen könnte. Im US-Kongress gibt es deshalb Bestrebungen, die Lieferung amerikanischer F-35-Kampfflugzeuge an die Türkei zu stornieren.