Berlin.

Beide haben lange geschwiegen. Doch das ist jetzt vorbei: Nach dem Rücktritt Mesut Özils aus der deutschen Fußballnationalmannschaft am Sonntag und seinem Statement, in dem er dem Deutschen Fußballbund (DFB) Rassismus vorwirft, hat nun der türkische Präsident bei Özil angerufen. Das erzählte Recep Tayyip Erdogan am Dienstag Journalisten im türkischen Parlament: „Es ist inakzeptabel, einen jungen Mann, der alles für die deutsche Nationalmannschaft gegeben hat, wegen seines religiösen Glaubens so rassistisch zu behandeln.“ Erdogan versicherte: „Ich stehe hinter Mesut aufgrund seiner Äußerungen.“ Dessen Haltung sei national und patriotisch: „Ich küsse seine Augen.“

In seinem Statement hatte Özil erklärt, dass er unter anderem den Umgang von DFB-Präsident Reinhard Grindel mit der Affäre als rassistisch empfunden hatte. Das Treffen mit Erdogan im Mai hatte zu tiefen Verwerfungen zwischen dem langjährigen Nationalspieler Özil und dem DFB geführt. Zusätzliche Brisanz erhielt das Foto von Özil mit Erdogan, weil es mitten im türkischen Wahlkampf veröffentlicht wurde.

Özil wurde unter anderem Wahlkampfhilfe für Erdogan vorgeworfen – einem Mann, der die Türkei mit harter Hand regiert und gegen Minderheiten und Gegner vorgeht sowie kritische Journalisten einsperren lässt. Nationalspieler Ilkay Gündogan, ebenfalls auf dem Foto mit Erdogan zu sehen, hatte sich früher zum Zustandekommen des Bildes geäußert – und war so dem Fokus der Kritik entgangen.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) reagierte am Dienstag wortkarg auf Fragen zur Causa Özil. In einer Pressekonferenz sagte der CSU-Politiker, es gebe „nur Verlierer“ in diesem Fall. Ansonsten habe sich die Kanzlerin schon geäußert, da gebe es für ihn keinen Raum mehr. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Montag von einer Sprecherin erklären lassen, sie schätze Özil sehr, er sei ein toller Fußballspieler.

In der Bundespolitik fielen die Reaktionen auf Özils Vorwürfe am Dienstag kritisch aus. Dagmar Freitag (SPD), Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, rügte das Krisenmanagement des DFB, sagte aber auch, der „blanke Rassismusvorwurf“ schieße aus ihrer Sicht „über das Ziel hinaus“. Stefan Liebich außenpolitischer Sprecher der Linken, kritisierte Özil und den DFB. „Es ist falsch, dass und wie sich Mesut Özil von Präsident Erdogan vereinnahmen ließ und lässt“, sagte Liebich dieser Zeitung. „Das ändert aber nichts daran, dass der DFB sich der Welle des Rassismus ebenso entgegenstellen muss wie dem absurden Vorwurf, dass Özil für die blamable Leistung der Nationalmannschaft bei der WM verantwortlich sei.“ Stattdessen hätten Grindel und andere beides befeuert. „Wenn hier jemand zurücktreten müsste, dann die Führung des DFB“, so Liebich.

Es geht für den DFB auch um die Vergabe der EM 2024

Die Affäre um die Fotos mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan kommt für den DFB zur Unzeit. Der Verband will die Europameisterschaft 2024 nach Deutschland holen. Der letzte verbliebene Konkurrent um die Austragung des prestigeträchtigen Turniers: die Türkei. Das Motto des DFB: „United by Football“, also vereint durch den Fußball. „Gemeinsam mit Euch allen wollen wir zeigen, dass die soziale Kraft des Fußballs alle vereint“, heißt es auf der Website des Verbands zur Bewerbung. Nicht ausgeschlossen, dass Anschuldigungen gegen die DFB-Spitze Deutschland sogar das „Leuchtturmprojekt“ kosten könnten, wie das Turnier auch genannt wird. Der Termin für die Vergabe ist der 27. September.

Erdogan ist nicht der erste türkische Politiker, von dem Özil Unterstützung erfährt. Der in Deutschland aufgewachsene Abgeordnete der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP, Mustafa Yeneroglu, warnte vor einer Verkürzung der Debatte auf das Foto mit Erdogan. Er kritisierte die „weitverbreitete Bevormundung von Deutschtürken“. Migranten solle „das einseitige deutsche Bild von Erdogan“ aufgezwungen werden – jenen, die nicht spurten, würde der Weg zum Ausgang gewiesen. AKP-Sprecher Mahir Ünal kritisierte, der Umgang mit Özil habe gezeigt, dass in Deutschland die eigentliche Absicht nicht Integration, sondern Assimilierung sei. „Die Reaktion von Mesut Özil ist äußerst passend und gerechtfertigt“, sagte Ünal.