Berlin.

Am 21. Juni ist Ferdinand Kirchhof 68 Jahre alt geworden. Ende des Monats wäre die Amtszeit des Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts eigentlich abgelaufen. Doch er darf erst gehen, wenn sich das Parlament auf einen Nachfolger geeinigt hat. Das kann sich bis September oder noch länger hinziehen.

Es ist kein Wunder, dass die Kür sich als ein zähes Verfahren erweist. Schließlich geht es um eine bedeutsame Personalentscheidung. Zum einen ist die Auslegung des Grundgesetzes hochpolitisch und für die Wahrung der Rechte der Minderheiten bedeutsam. Zum anderen werden die Richter für zwölf Jahre bestimmt – ohne Möglichkeit zur Wiederwahl. Sie sind weisungsfrei und brauchen sich nicht zu „empfehlen“. In Kirchhofs Fall kommt noch hinzu, dass sein Nachfolger 2020 vermutlich zum Gerichtspräsidenten aufsteigen wird.

Die Richter werden von Bundestag und Bundesrat gewählt. In Kirchhofs Fall ist das Parlament am Zug. Nach den geltenden Absprachen hat die Union das Vorschlagsrecht. Freilich stellt sie lediglich fünf der zwölf Sitze im Wahlausschuss. Die anderen sieben verteilen sich auf die SPD (drei), AfD, Linke, FDP und Grüne (je einer). Die Christdemokraten müssen einen gemäßigten Kandidaten finden, insbesondere jemand, den ihr Koalitionspartner, die SPD, auch mittragen kann.

Das ist vor der Sommerpause des Bundestages gescheitert. In solchen Pattsituationen hat das älteste Ausschussmitglied nach dem Gesetz „unverzüglich das Bundesverfassungsgericht aufzufordern, Vorschläge für die Wahl zu machen“. Das Gesetz schreibt auch ihre Zahl vor: drei.

Ältester in der Runde ist Unionsfraktionschef Volker Kauder, der am 3. September 69 Jahre alt wird. Wenige Tage vorher wird er sich mit Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle verbinden lassen. Der muss dann das Plenum in Karlsruhe zusammenrufen und im Kreis seiner Richter Namen erörtern, Bewerber abwägen, sondieren, konsultieren – wohl wissend, dass der Aufwand vergeblich sein könnte, weil die Personalie doch politisch ausgekungelt wird.

Im Gespräch sind zwei Berufsrichter und zwei Abgeordnete: die Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, Angelika Nußberger, der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, Innen-Staatssekretär Günter Krings (CDU) und Kauders Stellvertreter Stephan Harbarth. Für Krings und Harbarth spricht, dass sie Anwälte sind – eine Spezies, die es in Karlsruhe schwer hat. Dort sitzen Berufsrichter, Rechtswissenschaftler wie Voßkuhle oder Politiker wie der saarländische Ex-Ministerpräsident Peter Müller. Krings ist ein versierter Jurist und hat sich als konservativer Innenpolitiker profiliert. Das könnte es Kauder schwerer machen, den Mann aus Krefeld durchzusetzen. Harbarth hat sich weniger exponiert, ist aber als Partner der Mannheimer Sozietät SZA Schilling, Zutt & Anschütz nicht weniger renommiert.

„Wenn, dann macht er es für die ­Ehre“, erzählt ein Fraktionskollege – eine Anspielung darauf, dass der Christdemokrat zu den Parlamentariern mit den höchsten Nebeneinkünften gehört. Laut abgeordnetenwatch.de kommt er auf mindestens eine Million Euro im Jahr. In Karlsruhe würde er höchstens 17.500 Euro brutto monatlich verdienen – und das auch erst als Gerichtspräsident.

Neben Kauder sitzen im Wahlausschuss SPD-Chefin Andrea Nahles und der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe, Alexander Dobrindt. Schon daran erkennt man, dass die Personalie auf höchster Ebene entschieden wird. Die „Welt“ will erfahren haben, dass ­Harbarth der Favorit von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist.

Über solche Besetzungen wird in Deutschland selten offen gestritten. Das Gezerre findet hinter den Kulissen statt. Wie Kirchhof konnte schon sein Richterkollege Michael Eichberger im April nicht regulär ausscheiden, weil sich in seinem Fall die Länder im Bundesrat gegenseitig blockiert hatten. Die Grünen, die mehr Mitsprache reklamierten, wurden letztlich vertröstet, sodass Eichberger in der vergangenen Woche endlich die Entlassungsurkunde erhielt.

Wie es heißt, wurde dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Wilfried Kretschmann (Grüne) zugesagt, dass seine Partei zum Zuge kommt, wenn Voßkuhle im Jahr 2020 ausscheidet und das große Stühlerücken beginnt. Dort sitzt längst ein FDP-naher Jurist. Wenn die Grünen zufriedengestellt werden, ist es eine Frage der Zeit, bis auch Linkspartei und AfD Ansprüche anmelden. Die schwarz-rote Bipolarität in Karlsruhe ist vorbei. Bisher hatten die Deutschen Glück mit ihrem obersten Gericht: Das Kräfteverhältnis ist genau austariert, das Gremium genießt großes Ansehen. Frühere Richter brachten es wie Roman Herzog zum Bundespräsidenten oder wurden wie Voßkuhle für das höchste Staatsamt gehandelt.