Washington.

Den Amerikanern gingen am Dienstag die negativen Superlative aus. Nach dem als katastrophal empfundenen Kotau von Donald Trump vor seinem russischen Gegenüber Wladimir Putin in Helsinki war kein Vorwurf zu hart. Durch die Bank wurde dem US-Präsidenten „schwaches“, „erbärmliches“ und „für alle Amerikaner erniedrigendes Verhalten“ vorgeworfen, das in der Geschichte „ohne Beispiel ist“. Selbst relevante Stimmen in Politik und Medien, die sonst für Trump eintreten, konnten ihr Entsetzen darüber nicht verbergen, was der überparteilich anerkannte Kolumnist der „New York Times“, Thomas Friedman, und der frühere CIA-Chef John Brennan stellvertretend für viele auf diesen dramatischen Nenner brachten: Es gebe „überwältigende Belege“ dafür, dass Trump „Verhalten von Landesverrat“ an den Tag gelegt habe.

Alle Kritik war wie ein Lichtstrahl gerichtet auf eine Szene, die es so in der Tat noch nie gegeben hat. Anstatt sich zu den schwer widerlegbaren Befunden seiner eigenen Sicherheits- und Justizorgane zu bekennen, die Russland illegale Störmanöver bei den Präsidentschaftswahlen 2016 zuungunsten der Demokratin Hillary Clinton vorwerfen und Dutzende Anklagen erhoben haben, machte sich Trump die Unschuldsbeteuerung von Putin zu eigen, der jede ihm unterstellte Einmischung abstritt.

„Ich habe großes Vertrauen in meine Geheimdienstleute. Aber ich sage euch, dass das heutige Dementi von Präsident Putin extrem stark und wuchtig war“, erklärte Trump vor den Augen und Ohren der Weltöffentlichkeit. Ein Satz für die Geschichtsbücher.

Binnen Minuten brach im Internet ein brachialer Sturm der Entrüstung los, der Trump noch vor der Rückkehr nach Washington zu einer getwitterten Schadensbegrenzung veranlasste. Tenor: Es bleibe bei seiner Vertrauenserklärung an die eigenen Geheimdienste. Allerdings dürften sich die beiden größten Atommächte der Erde nicht in Problemen aus der Vergangenheit verkämpfen, sondern müssten sich den großen Themen der Zukunft zuwenden. Im Klartext: präsidialer Schlussstrich. Basta.

Die Phalanx der Ablehnungist so fest wie nie

Gestern Nachmittag Ortszeit dann der erkennbar widerwillig und halbherzige Rückzieher. Am Rande einer Sitzung mit Kongress-Abgeordneten, in der es um Steuerkürzungen gehen sollte, las Trump eine schriftliche Erklärung ab. Tenor: Er „akzeptiere“ nun die „Schlussfolgerungen“ der eigenen Geheimdienste, die Russland eindeutig als Schuldigen überführt hatten - und er habe „volles Vertrauen“ in die Organe von NSA bis FBI. In Helsinki habe er sich „versprochen“, sagte Trump und kündigte an, seine Regierung werde alles tun, um die Kongresswahlen im November vor Angriffen von außen zu schützen. Reporter, die anwesend fahren, äußerten danach Zweifel an der Lauterkeit des Präsidenten. Wörtlich hatte der Präsident gesagt: „Ich akzeptiere die Schlussfolgerung unserer Geheimdienste, dass die Einmischung Russlands in die Wahlen von 2016 stattgefunden hat. Es können aber auch andere Leute gewesen sein. Es gibt eine Menge Leute da draußen.“

Zuvor hat Trumps Auftritt in Helsinki massive Gegenwehr vieler Schlüsselfiguren in Politik und Regierung ausgelöst. Vorneweg Dan Coats. Der frühere US-Botschafter in Berlin, jetzt oberster Geheimdienst-Koordinator unter Trump, hatte lange vor Helsinki bekräftigt, was sämtliche US-Dienste einstimmig beurkunden: dass der Kreml mit manipulativen, kriminellen Absichten 2016 mehrfach in den Wahlprozess eingreifen ließ. Und, noch viel wichtiger, dass Moskau dies auch bei den bereits in vier Monaten stattfindenden Zwischenwahlen im Kongress erneut zu tun gedenke.

Das Vornehmeste in der Demokratie – das Vertrauen in die Unverletzlichkeit der Wahlen – ist damit in den USA weiter akut bedroht. Nachdem Trump in Helsinki Coats Wort hemdsärmelig mit dem von Putin auf eine Glaubwürdigkeitsebene stellte, erneuerte der 75-Jährige seine Vorwürfe gegen Russland. „Wir waren deutlich in unserer Einschätzung über die russische Intervention bei der Wahl von 2016 und über ihre weiterhin anhaltenden, umfassenden Anstrengungen, unsere Demokratie zu unterminieren“, erklärte Coats schriftlich, „und wir werden daran festhalten, weiterhin ungeschönte und objektive Geheimdienstinformationen zu liefern, um unsere nationale Sicherheit zu gewährleisten.“

Die Phalanx der einhelligen Ablehnung war so fest wie nie. Vom republikanischen Urgestein Senator John McCain („eine der schändlichsten Vorstellungen eines amerikanischen Präsidenten seit Menschengedenken“) über Senats-Fraktionschef Mitch McConnell („Russland ist nicht unser Freund“) bis zum Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Senat, Bob Corker („Wir tippen, dass Putin gerade Kaviar isst“) – kein Republikaner von Rang ließ auch nur ein gutes Haar an Trump. Bei den Demokraten war die Tonlage erwartungsgemäß noch vernichtender. Senats-Anführer Chuck Schumer bezeichnet Trump als „gedankenlos und gefährlich“.

Noch schmerzhafter für Trump ist der Liebesentzug bei erzkonservativen Büchsenspannern. Newt Gingrich, der einst Bill Clinton zu Fall bringen wollte und sich bisher als einer der glühendsten Trump-Verehrer profiliert hat, war fassungslos: „Das war der ernsteste Fehler seiner bisherigen Präsidentschaft“, sagte der republikanische Senior, „und er muss sofort korrigiert werden.“ Wer gestern Trumps Hofberichterstattungssender Fox News einschaltete, bekam ebenfalls das Gefühl, dass etwas ins Rutschen gekommen sein könnte. „Schäbig“ oder „schändlich“ sind Vokabeln, die man dort im Zusammenhang mit Trump sonst nie hört.

Dass Trump der Welt gezeigt hat, dass er der „Lakai“ Putins ist (New York Times), werde dem Präsidenten und den ihn tragenden Abgeordneten bei den Wahlen im November schaden, mutmaßen mehrere US-Kommentatoren. „Ein US-Präsident, der keine klare Kante gegenüber Russland zeigt, müsste bei aller Wertschätzung für den Anti-Politiker Trump für die meisten Amerikaner eine unverdauliche Angelegenheit sein“, sagte ein ehemaliger US-Diplomat dieser Redaktion.

Dennoch sei nicht auszuschließen, dass Trump auch diese „Katastrophe“ unbeschadet übersteht. Kern-Argument dieser Denkschule: Trump breche in der Russland-Affäre alle Attacken gegen ihn durch das Prisma seines historischen Wahlsieges. Lasse irgendwer, und seien es US-Geheimdienste, auch nur den Hauch eines Zweifels zu, dass sein Erfolg nicht „made by Trump“ gewesen sein könnte, fühle sich der Präsident bei der Ehre gepackt und unterscheide nicht mehr „zwischen Freund und Feind“. Für diese Leidenschaft, fürchten Analysten, hätten viele seiner Wähler „mehr als Verständnis“. Ändern könne sich dies allenfalls, wenn sich bewahrheiten sollte, dass Trump gar nicht anders konnte, als US-Interessen an Russland „zu verkaufen“, weil Moskau sensible Informationen (Geldgeschäfte) über ihn besitzt, die ihn Präsidentschaft und Freiheit kosten würden.

Auf die Frage eine US-Korrespondenten, ob er, Putin, belastendes Material gegen Trump besitze, kam vom russischen Präsidenten eine umständliche Erklärung. Es seien viele Wirtschaftsführer aus den USA in Russland gewesen, spielte Putin auf die Zeit an, als Trump 2013 in Moskau erfolglos auf ein Treffen mit Putin hoffte. Die russischen Geheimdienste hätten nicht das Personal und die Mittel, um jeden einzeln zu überwachen, erklärte der Kreml-Herrscher leutselig. Ein echtes Dementi hört sich anders an.