Washington/Helsinki.

Wladimir Putin bleibt selbst im Sitzen Judoka. Immer auf der Hut. Als sich Russlands Präsident Montagmittag in der gotischen Halle des Präsidentenpalastes von Helsinki gemeinsam mit Donald Trump dem Händeschütteln für die Fotografen stellt, hält sich der Kreml-Herrscher mit der linken Hand wie bei der Achterbahnfahrt an seiner Stuhllehne fest. Offenbar eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass der ihm körperlich rund 20 Zentimeter und etliche Kilogramm überlegene New Yorker – wie schon geschehen – zu sehr zieht oder drückt, um sein Gegenüber aus der Balance zu bringen.

Der US-Präsident verzichtete jedoch auf jeden physischen Einschüchterungsversuch und griff stattdessen zu verbalen Streicheleinheiten. Bevor sich die Staatsmänner zu einem ausgedehnten Privatissimum zurückzogen, zwinkerte Trump dem notorischen Zu-spät-Kommer (+ 50 Minuten) wohlwollend zu und rollte Putin den roten Teppich aus.

Erst lobte er sein Gegenüber, das mit betont unbeeindruckter Miene zuhörte, überschwänglich für die Austragung der Fußball-WM („eine der besten überhaupt“) und die Leistung der Heim-Mannschaft. Putin revanchierte sich später mit einem Fußball-Geschenk. Dann stellte er nach Jahren ungedeihlicher Beziehungen zwischen beiden Supermächten eine hellere Zukunft in Aussicht. „Ich denke, wir werden ein außergewöhnliches Verhältnis haben“, sagte Trump, „sich mit Russland zu verstehen, ist eine gute Sache, keine schlechte Sache.“ Schließlich wolle „die Welt sehen, dass wir miteinander auskommen“.

Sein Adressat beließ es dabei festzustellen, es sei an der Zeit, dass beide Länder „gründliche Diskussionen zu verschiedenen internationalen Problemen und sensiblen Themen führen“. Als Trump davon sprach, dass Russland und die USA 90 Prozent der Atomwaffen weltweit hüten („und das ist keine gute Sache“), nickte Putin. Dann standen beide auf und verschwanden in den von Offiziellen gesicherten „Saal der Spiegel“.

Außer Dolmetschern war niemand dabei

Was dort unter absolut unüblichen Umständen über zwei Stunden und zehn Minuten unter vier Augen geredet wurde – erst danach stießen fünf hohe US-Regierungsmitglieder wie Außenminister Pompeo und ihre Moskauer Counterparts dazu –, wird noch in Jahren Gegenstand von widersprüchlichen Interpretationen sein. Denn außer Dolmetschern (man merke sich auf US-Seite den Namen Marina Gross) war niemand dabei. Was in Washingtoner Politik-Zirkeln parteiübergreifend den Verdacht nährt, dass Trump „definitiv etwas zu verbergen hat“. Seine Wahlkampagne steht seit 14 Monaten im Mittelpunkt von Untersuchungen des früheren FBI-Chefs Robert Mueller, die Trump eine „Hexenjagd“ nennt.

Unmittelbar vor dem Tête-à-Tête hatten beide Seiten mit giftigen Spitzen Erwartungsmanagement betrieben. Trump bezeichnete die russisch-amerikanischen Beziehungen als so schlecht wie nie zuvor. Was aber weder an ihm noch Putin liege. Sondern allein an der „Unvernunft und Dummheit“ vorheriger US-Präsidenten, allen voran Barack Obamas. Der Kreml warf Trump „skrupelloses“ Verhalten vor, weil der Präsident die Nord-Stream-2-Pipeline torpediert, die Gas von Russland nach Deutschland transportieren soll. Beobachter werteten den Schlagabtausch als „Nebelkerze“. In Wahrheit überwiege im Kreml die „Genugtuung“ über Trumps Parforce-Ritt durch Europa (Brüssel, danach England) in der vergangenen Woche. Vor allem, dass Trump die EU erstmals als „Feind“ identifizierte, sei dem um Spaltung des Westens bemühten Putin „wie Öl heruntergegangen“.

Als die Präsidenten mit 80-minütiger Verspätung vor die Presse traten, sprach Putin von einem „sehr erfolgreichen und sehr nützlichen“ ersten Versuch, die Spannungen im Verhältnis beider Länder abzubauen. Man habe in „offener und geschäftsmäßiger Atmosphäre“ Themen wie Syrien, Iran, Nordkorea, atomares Wettrüsten, Terrorismus, Cyber-Kriminalität und Ukraine angetippt. Dabei hätten sich Meinungsverschiedenheiten ergeben, aber auch Möglichkeiten für einen „konstruktiven Dialog“ in der Zukunft. Etwa bei der Frage, wie man Trumps Kritik an Nord stream 2 begegnen könne. Hier schlug Putin vor, Moskau und Washington könnten gemeinsam an der Regulierung der Energiemärkte arbeiten, um hohe Energiepreise zu vermeiden.

Donald Trump beschrieb die Lage mit nahezu identischen Worten, lobte Wladimir Putin, wich kritischen Fragen aus und stellte sich in bemerkenswerter Offenheit bei einem der größten inner-amerikanischen Skandale seiner Präsidentschaft an die Seite des Russen, der zum wiederholten Mal eine Einmischung Moskaus in die US-Wahlen 2016 vehement abstritt.

Zu den von der US-Justiz erst Ende vergangener Woche angeklagten zwölf Agenten des russischen Militär-Geheimdienstes GRU, die bei einem detailliert dokumentierten „digitalen Watergate“ Daten der Demokraten und der damaligen Kandidatin Hillary Clinton erbeutet haben sollen, bot Putin Trump eine beispiellose Zusammenarbeit an: Sonderermittler Robert Mueller und sein Team könnten nach Moskau kommen und die Angeklagten dort vernehmen. Umgekehrt müsse es russischen Fahndern dann auch möglich sein, in den USA gewisse Personen aufs Korn zu nehmen, etwa den britisch-amerikanischen Fondsmanager Bill Browder, der sich Millionensummen erschwindelt habe. Andernfalls, so Putin, könnten die Vereinigten Staaten auf der Basis eines seit 1999 bestehenden Abkommens um die Auslieferung der genannten Personen bitten. Man werde das Gesuch prüfen, auch wenn man dabei bleibe: „Es gab keine Einmischung.“

Trump bezeichnete den Vorschlag Putins wohlwollend als „unglaublich“ und „interessant“ und betonte einmal mehr, dass es zwischen seinem Wahlkampfteam und Russland niemals verbotene Absprachen gegeben habe. Die Untersuchungen von Sonderermittler Mueller seien eine dreiste „Hexenjagd“, die den Versuch massiv behindere, das Verhältnis zwischen Amerika und Russland zu verbessern. Der wahre Skandal sei bei Clinton und den Demokraten zu suchen, die ihre Niederlage gegen ihn einfach nicht verwunden hätten. Trump beschuldigte auf öffentlicher Bühne erneut seine eigene Bundespolizei FBI in so scharfen Worten der politischen Voreingenommenheit, dass der bekannte CNN-Moderator Anderson Cooper jegliche Zurückhaltung fahren ließ und sich live stellvertretend für viele US-Journalisten empörte: „Sie haben gerade eine der vielleicht beschämendsten Vorstellungen eines US-Präsidenten auf einem Gipfel im Beisein eines russischen Führers verfolgt, die ich je gesehen habe.“