Washington.

Bei Gerald Ford und Leonid Breschnew wusste man, um was es ging. Bei Georg H. W. Bush und Michael Gorbatschow auch. Ebenfalls bei Bill Clinton und Boris Jelzin war lange vorher klar, zu welchem Zweck sich ihre Wege in Helsinki kreuzen würden. Bei dem amerikanisch-russischen Spitzentreffen, das an diesem Montag Mittag unweit der russisch-orthodoxen Uspenski-Kathedrale in der finnischen Hauptstadt über die Bühne gehen wird, liegen die Dinge anders. Abseits von Schlagworten wie Ukraine, Nato, Syrien, Iran, Nordkorea und atomares Wettrüsten gibt es bei Donald Trump und Wladimir Putin keine von Unterhändlern sorgsam abgeschmeckte Tagesordnung. Und erst recht kein fest vereinbartes Ziel.

Von einem „lockeren Kennenlern-Treffen“ spricht verdruckst das Weiße Haus. So als sei es eine diplomatische Marginalie, wenn die Oberbefehlshaber der weltweit größten Atom-Arsenale in Zeiten permanenter Konfrontation nach zwei eher flüchtigen Begegnungen (Hamburg und Vietnam) zum ersten Mal offiziell die Köpfe zusammenstecken. Amerikas Russland-Botschafter Jon Huntsman versuchte, Journalisten bei einer Telefonkonferenz einzureden, „der Gipfel selbst ist die Botschaft“. Schließlich könne man keine Probleme lösen, wen man nicht über sie spreche.

Weil Trump, der gerade in einem Interview seine „volle Absicht“ für eine zweite Amtszeit bis 2024 bekundet hat, und Putin einen großen Teil ihres Vier-Stunden-Budgets unter vier Augen (nur mit Dolmetschern) verbringen wollen, schrillen bis in den Kongress von ­Washington hinein die Alarmglocken. Uninsono lautet die Befürchtung, dass der von seinem Verhandler-Charme zutiefst überzeugte Trump in seinem Bestreben, Putin zu imponieren und für seine Anhänger daheim einen Propaganda-Erfolg zu fabrizieren, beim losen Daherreden geopolitische Zugeständnisse von größter Tragweite machen könnte. Beispielsweise die Anerkennung der völkerrechtswidrigen Aneignung der Krim durch Russland 2014.

Als Trump in der vergangenen Woche in Brüssel danach gefragt wurde, fiel die Antwort („Kann ich nicht sagen“) so schwammig aus, dass sich Analysten in Washington trotz zahlreicher Dementis des Weißen Hauses bestätigt sahen: Dass „irgendein Deal im Schwange ist“, bei dem Trump über die Köpfe der Weltgemeinschaft hinweg die Annexion tatsächlich abnicken und als Zugabe auch noch Manöver der Nato in Ost-Europa zurückfahren könnte. Wenn sich denn Putin im Gegenzug anschicken würde, in der Ost-Ukraine vom Gaspedal zu gehen und den Iran teilweise aus Syrien zu bugsieren. US-Truppen würde Trump dann – wie bereits mehrfach angedeutet – zurückbeordern. Als Belohnung winkt für Putin in diesem Denkmodell die Aufhebung von Wirtschaftssanktionen.

Trump übernimmt Putins Unschuldsbehauptungen

Ob es so oder so ähnlich kommt – niemand weiß es. Was man weiß: Trump tritt dem von ihm bewunderten Autokraten, Judo-Kämpfer und Oben-ohne-Angler Putin als wandelndes Paradoxon gegenüber. Sein penetrantes Werben für einen Neustart im Verhältnis zwischen Washington und Moskau, das Vorgänger Obama vor die Wand gefahren habe, kontrastiert seit Amtsantritt mit einer wachsend hartleibiger gewordenen Realpolitik.

Russische Konsulate wurden geschlossen, Diplomaten rausgeworfen – gerade nach den Nervengift-Attacken auf einen russischen Ex-Spion in England. Putins Oligarchen wurden zudem mit Sanktionen und Einreiseverboten gepiesackt und der Kreml als atomarer Bösewicht und Unruhestifter schlechthin identifiziert. „Unsere Beziehung zu Russland ist schlechter als je zuvor, und das schließt den Kalten Krieg ein“, twitterte Trump im Frühling und rühmte sich einer Streng-sein-mit-Mütterchen-Russland-Strategie. Allerdings ohne dabei auch nur ein einziges Mal dem Mann vors Schienbein zu treten, ohne den dort nichts geht: Putin.

Wann immer Gelegenheit gewesen wäre, den Ex-Geheimdienstler persönlich zu stellen, machte sich Trump dessen Unschuldsbehauptungen zu eigen. „Er hat mir absolut beteuert, dass er sich nicht in unsere Wahl eingemischt hat“, ist bis heute einer von Trumps Standardsätzen. Sie klingen umso unglaublicher, wenn man sie mit den Erkenntnissen sämtlicher US-Geheimdienste und mehrerer Kongress-Ausschüsse in Beziehung setzt. Dort ist gut dokumentiert, dass Trump auch durch Fake-News-Tsunamis, die von Kreml-nahen Saboteuren in eine unterdurchschnittlich informierte US-Öffentlichkeit gespült worden waren, ins Amt kam. Und dass Kern-Figuren aus Trumps innerstem Zirkel mit Moskau dubiose Kontakte unterhielten. Und dass die Russen Trump mit der illegalen Beschaffung und Veröffentlichung von schmutzigem Material über Hillary Clinton unter die Arme greifen wollten.

Letzteres ist erst gerade von US-Vize-Justizminister Rod Rosenstein sozusagen in Stein gemeißelt worden. Mit der Anklage von zwölf Spionen des russischen Geheimdienstes GRU, denen massiver digitaler Diebstahl zum Schaden von Clinton in E-Mail-Konten der US-Demokraten vor der Wahl 2016 vorgehalten wird, gerät Trump doppelt in Bedrängnis. Seine These von der „Hexenjagd“, die Sonder-Ermittler Robert Mueller gegen ihn betreibe, ist selbst aus Sicht mancher Republikanern „unhaltbar geworden“. Zum anderen wächst der Druck von Schwergewichten wie Senator John McCain, dass Trump die Missetaten der Russen Putin unter die Nase reibt und künftig auf Nicht-Einmischung pocht.

Große Sorgen vor einer öffentlichen Bloßstellung hat Moskau aber nicht. „Trump ist ein Rammbock, der die eigenen Eliten und Institutionen, die Nato, die EU und die Medien sturmreif schießt. Das nimmt uns die Arbeit ab“, gaben auf Stehempfängen in der US-Hauptstadt russische Funktionäre mit einem Schmunzeln zu. Ihre These: Putin werde in Helsinki leichtes Spiel haben mit Trumps „Ignoranz und Eitelkeit“, ohne dabei selbst substanzielle Zugeständnisse machen zu müssen. Donald Trump ficht das nicht an. Er hält sich für den gewiefteren Poker-Spieler. „Putin und ich“, sagt er, „wir werden uns gut verstehen.“