Berlin/Bonn. Weil ein Professor eine Kippa trägt, wird er Ziel eines Angriffs. Der Vorfall in Bonn zeigt: Das Land hat ein Problem mit Antisemitismus

    Ein Israeli, Professor, zu Gast in Deutschland – dem Land, das den millionenfachen Mord an den Juden zu verantworten hat. Yitzhak Melamed wird Opfer von Judenhass, mitten am Tag, mitten in Deutschland. Und er wird von der Polizei zu Boden gezerrt, ins Gesicht geschlagen. Weil es ein, so die Polizeipräsidentin im Nachgang, „schreckliches Missverständnis“ gegeben hatte. Die Polizisten hätten Melamed bei der Verfolgungsjagd im Bonner Hofgarten am vergangenen Mittwoch für den Aggressor gehalten. Nicht den jungen Mann, der ihm zuvor die Kippa vom Kopf geschlagen hatte.

    So schildert der Professor den Angriff des Mannes im Interview mit dieser Redaktion: „Als wir den Hofgarten betraten, kam ein junger Mann auf mich zu, fragte ,Bist du Jude?‘ und sagte, dass er Palästinenser sei. Ich antwortete ihm, ich habe nichts gegen Palästinenser oder Muslime.“ Trotzdem gingen die Beleidigungen los: „I fuck Jews“ habe er gesagt. Der Angreifer wurde wenig später festgenommen, gegen ihn ermittelt der Staatsschutz. Aus Neutralitätsgründen untersucht das Polizeipräsidium Köln wegen Körperverletzung im Amt das Vorgehen der beteiligten Polizisten.

    Der Angriff gegen Melamed ist nicht der einzige Fall von Antisemitismus dieser Tage. In der jüdischen Gemeinde in Offenbach wird ein Rabbiner seit Jahren immer wieder beleidigt, vergangene Woche belästigten ihn sechs Männer. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. In Dortmund bedrohen drei Neonazis einen 26 Jahre alten Juden, zeigen den Hitlergruß. Im April beschimpften drei Männer zwei Juden mit Kippa auf Arabisch im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg. Meldungen aus Deutschland im Jahr 2018.

    Wer mit Vertretern von jüdischen Gemeinden spricht, hört oft, dass die Angst vor Übergriffen wachse. Im April rät der Zentralrat den Juden: Tragt in Großstädten lieber Baseball-Cap statt Kippa. Ein Blick in die Polizeistatistik ist zunächst weniger alarmierend. Seit Jahren schwanken die Zahlen zu antisemitischen Straftaten stark – ein Trend zu mehr Hass lässt sich nicht festmachen.

    Vor allem Rechtsextremisten fallen der Polizei mit judenfeindlichen Übergriffen auf. 1381 waren es insgesamt 2016. 2017 schon 1412. Die Zahl der Gewaltdelikte von Neonazis gegen Juden ging leicht zurück – von 32 auf 29. Und radikale Töne vom rechten Rand stoßen auf Widerhall in der „Mitte der Gesellschaft“. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung gibt an, dass 81 Prozent der Deutschen die Geschichte der Judenverfolgung „hinter sich lassen“ möchten. Eine Folge dieser Schuldabwehr sei eine übersteigerte Israelkritik, ein zunehmender Antizionismus.

    Doch das ist nur ein Blick auf den Antisemitismus in Deutschland. In einer Studie der Universität Bielefeld hat der Forscher Andreas Zick Jüdinnen und Juden in Deutschland befragt. Mehr als ein Drittel von ihnen hat das Gefühl, der Antisemitismus nimmt zu. Fast die Hälfte meint, er werde noch weiter zunehmen. Gerade bei Körperverletzungen, etwa auf der Straße oder in der Bahn, geben 81 Prozent der Opfer an, dass der Täter „muslimisch“ gewesen sei.

    Polizeistatistik und Bielefelder Studie widersprechen sich. Offenbar ist das Dunkelfeld groß. Hinzu kommt: Die Menschen erleben Hass – melden dies häufig jedoch nicht. Aus Scham, aber auch weil sie schlechte Erfahrungen mit Behörden gemacht haben und nicht an eine Aufklärung glauben.

    Fast 60 Prozent der Befragten der Bielefelder Studie fühlen sich unsicherer seit der Zuwanderung aus Staaten, in denen der Islam Staatsreligion ist und der Hass auf Juden und Israel teils zur Doktrin einer Regierung gehört. Menschen, die nach Deutschland kommen, waren in ihrer Heimat oftmals anti-jüdischen Klischees und gezielter Propaganda ausgesetzt. Dies bestätigt ein Forschungsbericht im Auftrag des „American Jewish Comittee“ in Berlin. Die Verfasser interviewten 68 Geflüchtete aus Syrien und Irak. Ihre Einstellungen dem Judentum gegenüber waren „positiv oder neutral“ bis zu Fantasien über jüdische Weltverschwörungen und Völkermord-Sehnsüchten. Der Bericht: „Die Position, die Welt würde von Juden oder Israel kontrolliert, wird oft als normal beziehungsweise legitim empfunden.“