Berlin.

Sie stehen dicht an dicht, auf zwei Etagen. Diejenigen Tiere, die können, blicken durch die Spalten in den Metallwänden nach draußen. Der vertraute, heimische Stall der Rinder liegt lange hinter ihnen, ihr Zielort ist noch Stunden entfernt.

Lange Transporte auf der Straße sind, selbst wenn alle Vorschriften eingehalten werden, eine Belastung für Tiere. Doch wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen zeigt, kann man in vielen Fällen nicht einmal davon ausgehen, dass sich alle an die Regeln halten.

Zum Beispiel Transporte in die Türkei: Im Handel mit Rindern ist der Staat eines der wichtigsten Exportländer außerhalb der Europäischen Union. Allein im Juni, Juli und August 2017 wurden über die Grenze zu Bulgarien 9281 Rinder dorthin transportiert. Das sind rund achteinhalb Mal so viele wie noch im selben Zeitraum 2013. Insgesamt verließen im vergangenen Jahr mehr als 30.000 Rinder mit Zielort Türkei die Bundesrepublik. Der Großteil davon sind Zuchtrinder – ihr Weg soll nicht zur Schlachtbank führen, sondern in einen neuen Stall.

Fast alle nehmen sie dabei den Weg über Kapitan Andreewo: Die Grenzstation liegt dort, wo die Grenzen Griechenlands, Bulgariens und der Türkei aufeinandertreffen, und sie ist eine der größten der Welt. Die Schlangen der Lkw vor dem Checkpoint erstrecken sich oft über Kilometer. Kommen Tiertransporter an die Grenze, stehen auch sie in diesen Schlangen. Von mindestens sechs Stunden Wartezeit geht die Bundesregierung aus. Vor allem in den Sommermonaten ist das ein Problem.

Friedrich Ostendorff, agrarpolitischer Sprecher der Grünen, hat sich im Mai vergangenen Jahres angesehen, was das für die Tiere bedeutet. Gemeinsam mit vier Bundestagskollegen besuchte er Kapitan Andreewo. „Als wir da waren, waren es 35 Grad. Uns wurde berichtet, dass das Thermometer im Sommer mittags bis 45 Grad hochgeht“, sagt er. ­Maximal erlaubt sind im Lkw laut EU-Verordnung 30 Grad. „Ist der Lkw so gekühlt, dass er bei 45 Grad Außentemperatur die 30 Grad einhält?“, fragt der Grünen-Politiker und gibt selbst die Antwort: „nein.“

Eine eigens eingeführte Schnellspur für Tiertransporte funktioniere nur mäßig, berichtet Ostendorff: Immer wieder würden Fahrer anderer LKW die Spur blockieren, verärgert, dass sie länger warten sollen, weil ihre Ware nicht lebt.

Die bulgarischen Behördenmitarbeiter nehmen ihre Aufgabe ernst, betont Ostendorff, doch es kommen einfach zu viele Transporte. „Bulgarien – ein Sieben-Millionen-Land, nicht sehr gut finanziell ausgestattet – nimmt hier für alle europäischen Länder diese Aufgabe wahr, das europäische Recht hier zur Anwendung zu bringen.“

All das weiß auch die Bundesregierung. Man habe „Grund zur Annahme“, dass ein Teil der Transporte in die Türkei gegen die EU-Verordnung verstoße, „insbesondere, was den zulässigen Temperaturbereich betrifft“, heißt es in der Antwort auf die Anfrage der Grünen.

Dass die Bundesregierung nur annehmen kann, dass es Verstöße gibt, es aber nicht sicher weiß, liegt am Genehmigungsprozess der Fahrten. Wer in der EU lebende Tiere über eine lange Strecke transportieren will, muss zuvor in einem Transportplan offenlegen, wann und wo die Tiere eine Möglichkeit zur Rast bekommen soll. Abgenommen wird dieser Plan vom Amtstierarzt.

Das Problem: Von stichprobenartigen Kontrollen abgesehen überprüft niemand, ob der auch eingehalten wird. Das Transportunternehmen schickt den Plan zurück, der Stempel einer Versorgungsstelle soll bestätigen, dass Rast gemacht wurde, erklärt Holger Vogel, Präsident des Bundesverband der beamteten Tierärzte. „Aber was passiert, wenn diese Angaben gefälscht sind?“ Häufig gar nichts, sagt der Amtstierarzt, weil es niemand außer den Beteiligten erfährt.

Grünen fordern Aussetzender Transporte in Drittländer

Vogel berichtet von einem Fall aus seinem Landkreis. „Da kam ein Transport von Rindern aus Tschechien an, mit Kenntnis des dortigen Tierarztes völlig überladen“, erzählt er. „Bei der Ankunft in Deutschland waren drei Tiere tot.“ Der Betrieb in Deutschland wandte sich an die Behörden für eine Beweisaufnahme. „Wenn die Rindern nicht gestorben wären, hätten wir davon nie erfahren“, sagt Vogel, „weil wir bei der Ankunft keine Vorortkontrolle machen sollen.“ In einem anderen Fall seien Rinder zweistöckig verladen worden, obwohl sie dafür viel zu groß waren. Der Boden des oberen Stocks drückte auf die Tiere unten. „Die kamen am Zielort mit einem aufgescheuerten Rücken an.“ Auch hier erfuhr die Behörde nur davon, weil es einen Hinweisgeber gab.

Schon innerhalb der EU ist es daher schwierig, sicherzustellen, dass geltende Regeln eingehalten werden. Jenseits der Grenzen wird es praktisch unmöglich. Doch die Rechtslage fordert genau das: In einem Urteil von 2015 erklärt der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass die Tierschutzbedingungen der Union für Transporte aus der EU auch auf jenem Teil der Strecke gelten, der außerhalb der EU liegt. Vogel hadert mit dem Urteil. „Das muss denen auch klar sein, dass das nicht geht“, sagt er über den Gerichtshof. Und auch Grünen-Politiker Ostendorff sieht Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Bis die Frage geklärt ist, plädieren die Grünen deshalb für ein Aussetzen der Transporte in Drittländer. „Welche Handhabe haben wir, wenn der Transport den europäischen Raum verlässt?“, sagt Ostendorff. „Keine. Außer Appellen ist da nichts zu machen.“

Auf Appelle beschränkt sich derzeit auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). In einem Brief aus dem Mai ermahnt ihr Ministerium die Verbände der Fleischwirtschaft: Im vergangenen August, als 3800 Rinder über die türkische Grenze gebracht wurden, habe die Höchsttemperatur an 27 von 31 Tagen über 30 Grad gelegen. Angesichts dessen wolle man die Verbände an ihre „rechtliche Verpflichtung erinnern, die Transporte tierschutzgerecht zu planen.“

Ob die Mahnung Erfolg hat, wird schwer in Erfahrung zu bringen sein.