Moskau. In der Ukraine häufen sich Übergriffe rechtsradikaler Gruppen gegen die Minderheit. Jetzt wurde dabei ein 24-jähriger Mann getötet

    Die Täter trugen Masken und waren unter anderem mit Schlagstöcken und Messern bewaffnet. Am vergangenen Wochenende fielen die Rechtsradikalen am Stadtrand der westukrainischen Stadt Lemberg (Lwiw) über das Zeltlager einer Roma-Familie her. Sie töteten einen 24-Jährigen mit 15 Messerstichen, verletzten vier weitere Personen schwer, darunter einen zehnjährigen Jungen und seine Mutter, die versucht hatte, ihr Kind vor den Messerhieben zu beschützen. Nach Angaben der Polizei machte man 14 Tatverdächtige dingfest, zum Großteil minderjährige Schüler.

    Die Menschenrechtsbeauftragten des Europarates und der deutschen Regierung sowie die US-Botschaft in Kiew forderten die Ukraine auf, die Schuldigen zügig zu bestrafen und weitere Übergriffe gegen Roma zu verhindern. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma macht Rechtsextreme für die Überfälle verantwortlich. Die Ermordung des 24-Jährigen sei das „fünfte Pogrom von rechtsextremen Gruppen gegen Roma“ während der vergangenen beiden Monate, teilte der Zentralrat in Heidelberg mit. Teilweise würden die Überfälle gefilmt und ins Internet gestellt.

    Wie üblich werden Anstifter aus Moskau verdächtigt

    Auch in der Ukraine wird die Bluttat heftig debattiert. Es sei ja nicht das erste Roma-Lager, dass in den vergangenen Monaten überfallen worden sei, erklärte Innenminister Arsen Awakow in einer Talkshow. „Leider ist das mittelalterliche Barbarei.“ Und wie üblich verdächtigte Awakow Anstifter aus Moskau. Umgekehrt häufen sich Stimmen, die die Sicherheitsorgane kritisieren. Und Awakow steht selbst im Zwielicht.

    „Es hat vorher mehrere Pogrome gegen Roma gegeben, bei denen die Schuldigen ohne ernsthafte Strafen davongekommen sind“, sagt Irina Bekeschkina, Leiterin der Kiewer Stiftung „Demokratische Initiative“. Und das Kultur-Ministerium klagte in einer gemeinsamen Erklärung mit der Arbeitsgruppe für die Integration der Roma, schon vor zwei Jahren seien im Dorf Loschtschinowka bei Odessa Roma vertrieben, ihre Häuser zerstört worden. Danach habe man in Olschany bei Charkow einen Roma erschossen, ohne dass bisher jemand dafür verurteilt worden sei. Vergangenes Jahr schlugen Einsatzpolizisten in Lemberg bei einer Razzia gegen Roma Türen und Fenster mit Vorschlaghämmern ein und schleppten ihre Gefangenen in Unterwäsche auf die Wache.

    Allein in den vergangenen drei Monaten wurden im Raum Kiew drei Roma-Lager von Nationalisten gestürmt, in den Regionen Lemberg und Ternopil je eins. Diese Pogrome blieben ohne Todesopfer. „Aber wovon haben sich die Jugendlichen, die den Mord in Lemberg begangen haben, leiten lassen?“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. „Und genauer, wer hat sie angeleitet?“

    Ukrainische Medien berichten, dass die Messerstecher von Lemberg der Neonazi-Gruppe „Nüchterne und böse Jugend“ angehören. Und dass sie die Symbolik der rechtsradikalen „Misanthropie Division“ verwenden. Diese Angaben führen allerdings in völlig unterschiedliche Richtungen. In Kiews rechter Szene wird daran gezweifelt, dass die „Nüchterne und böse Jugend“ mehr darstellt, als nur eine Gruppe in Internet. Tatsächlich gibt es auch im russischen Netzwerk „Wkontakte“ diverse Gruppen, die sich sehr ähnlich nennen und sehr ähnlich gesonnen sind. Zwar versichert der gleichnamige russische Kanal, die ukrainische „Nüchterne und böse Jugend“ sei ein Plagiat und man habe nicht das geringste mit ihrer Aktion zu tun. Aber auch die russische Gruppe postet Hakenkreuze und Hitlergrüße sowie eindeutige Sprüche: „Ein Mann ohne Messer ist kein Mann.“ Oder wie ein anderer Ableger verkündet: „Für jede Missgeburt ein paar Messerstiche!“

    Offenbar haben sich die jungen Neonazis in Russland und der Ukraine gegenseitig angestachelt. „Radikalismus gibt es ja nicht nur in der Ukraine und Russland“, sagt Politologin Bekeschkina. „Und dahinter verbirgt sich nicht nur Armut, sondern auch Wut auf die Gesellschaft, das Gefühl, sich nicht verwirklichen zu können. Vor allem bei jungen Menschen.“

    Die Messerstecher von Lemberg aber werden mit der rein ukrainischen Bewegung „Misanthropische Division“ in Verbindung gebracht. Die „Misanthropen“ sollen 2013 von rechtsradikalen Charkower Fußballfans gegründet worden sein. Viele ihrer Mitglieder traten zu Beginn des Donbass-Krieges 2014 in das nationalistische Bataillon Asow ein. Dieses wiederum soll sich der Partei „Volksfront“ angenähert haben, zu deren Führern Innenminister Awakow gehört. Die Oppositionszeitung „Westi“ bezeichnete Asow schon als „Privatarmee Awakows“.

    Awakow wird auch in Verbindung mit der neuen Rechtspartei „Nationalkorps“ gebracht, ihr Chef Andrei Bilezki, kommandierte früher Asow, jetzt erklärt er, Pogrome gegen Roma stellten die „elementare Sicherheit und Gerechtigkeit“ wieder her.

    Manche Experten vermuten, die Rechten wolle mit den Attacken auf die Roma vor den Parlamentswahlen 2019 politische Stimmung machen. Irina Bekeschkina gibt ihnen keine große Chancen. „Im Gegensatz zu einigen EU-Ländern sitzt in der Ukraine noch keine rechtsradikale Partei im Parlament. Sie kommen auch jetzt nicht an die Macht.“ Aber die Gefahr sei, dass die jungen Extremisten sich zu organisierten Kriminellen mausern könnten. „Im Land herrscht Krieg, es gibt sehr viele Waffen.“