Berlin.

Eine Bemerkung zur aktuellen politischen Situation konnte sich Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) dann doch nicht verkneifen. Dass sich Arbeitgeber und Gewerkschaften auf eine Anhebung des Mindestlohns verständigen konnten und das auch noch einstimmig, das sei ein „leuchtendes Beispiel für die Arbeit in der Bundesregierung“. Es sei eben doch möglich, bei bestehenden Meinungsunterschieden gemeinsam „zu vernünftigen Lösungen zu kommen“, so Heil.

Sowohl Arbeitgeber als auch Gewerkschaften lobten den Beschluss in der Mindestlohnkommission dann auch ausdrücklich. Das sei gelebte Sozialpartnerschaft, betonte Steffen Kampeter, der für die Arbeitgeber in der Kommission sitzt. Das Ergebnis könne sich sehen lassen, bekräftigte Gewerkschafter Stefan Körzell. Tatsächlich ist es Brauch bei Tarifverhandlungen, den gefundenen Kompromiss zu loben. Es soll keine Verlierer geben.

Um 35 Cent soll der Mindestlohn zum Januar 2019 steigen – von jetzt 8,84 Euro pro Stunde auf dann 9,19 Euro. Ein Jahr später soll es noch einmal um 16 Cent nach oben gehen: Ab Januar 2020 muss jeder Arbeitnehmer in Deutschland dann mindestens 9,35 Euro pro Stunde verdienen. Das sind 5,8 Prozent mehr als heute. Gestartet war der Mindestlohn im Jahr 2015 bei 8,50 Euro und war zum Januar 2017 erstmals auf 8,84 Euro erhöht worden.

„Ich finde, das ist eine richtige Steigerung“, kommentierte Heil den aktuellen Beschluss, den er noch per Verordnung in Kraft setzen muss. An der Entscheidung selbst war der Minister nicht beteiligt, denn die Höhe des Mindestlohns, so der Gedanke, soll ausdrücklich nicht von der Politik festgelegt werden. Allerdings hatten Heil wie auch die Gewerkschaften im Vorfeld deutliche Forderungen an die Kommission gerichtet: Angesichts der guten Wirtschaftsentwicklung müsse der Mindestlohn „kräftig“ steigen.

Ein Trick führt zur gewünschten Erhöhung

Die Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Kommission griffen daraufhin zu einem Trick: Sie wählten eine Erhöhung in zwei Stufen. Bei der ersten Stufe folgten sie streng den vorgegebenen Regeln und kamen exakt zu dem Ergebnis, das auch das Statistische Bundesamt aus der Steigerung der Tariflöhne in den vergangenen beiden Jahren errechnet hat. Daraus ergeben sich die 9,19 Euro, mit denen die Arbeitgeber sehr zufrieden sind. Für die zweite Stufe wählte die Kommission die Tarifabschlüsse als Maßstab, die es im ersten Halbjahr 2018 gab. Aus den Lohnsteigerungen in der Metall- und Elektroindustrie, am Bau und im öffentlichen Dienst errechneten sie die 9,35 Euro ab 2020. Das freute die Gewerkschaften.

Dieses Vorgehen sei in den Regeln der Kommission nicht explizit vorgesehen gewesen, räumte ihr unabhängiger Vorsitzender Jan Zilius ein. Es sei aber auch nicht untersagt. „Wir haben gezeigt, welche Gestaltungsmöglichkeiten wir haben“, sagte Gewerkschafter Körzell. Arbeitgeber-Mann Kampeter lobte dafür die „Planungssicherheit“, die es für Unternehmen nun gebe. Damit bekam die Festsetzung des Mindestlohns den Charakter von Tarifverhandlungen. Was diese sehr flexible Auslegung der Kommissionsregeln für die nächste Entscheidung der Kommission bedeutet, ist noch unklar. Minister Heil lobte den zweistufigen Abschluss.

Für Minijobber, deren Gehalt bei maximal 450 Euro im Monat festgeschrieben ist, ergibt sich aus der Heraufsetzung des Mindestlohns eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit. Mit 9,19 Euro können sie nur noch 49 Stunden im Monat arbeiten. Mit 9,35 Euro Mindestlohn sind noch 48,1 Stunden möglich. Aktuell dürfen Minijobber 50,9 Stunden im Monat arbeiten.

Der Mindestlohn sei inzwischen „ein Stück Normalität in Deutschland“ geworden, sagte Kommissionschef Zilius. Die Diskussionen darum würden inzwischen sachlicher geführt. In ihrem zweiten Bericht zu den Auswirkungen des Mindestlohns kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass die Lohnuntergrenze zwar zu einem Rückgang von Minijobs geführt habe. Insgesamt habe aber „kein Abbau sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung“ stattgefunden. Wenn es einen negativen Effekt gegeben habe, dann den, dass es in einigen Branchen keine oder nur wenig neue Jobs gegeben habe.

Dem Bericht zufolge haben Unternehmen in den Branchen, die vom Mindestlohn betroffen sind, vom Jahr 2014 zum Jahr 2015 rund neun Prozentpunkte weniger Gewinn gemacht. „Die kann durch den mindestlohnbedingten Anstieg der Lohnkosten erklärt werden“, heißt es in dem Bericht. Firmen würden darauf mit veränderten Arbeitszeiten und einer Verdichtung der Arbeit reagieren. Die Mindestlohnkommission forderte die Bundesregierung auf, alles dafür zu tun, damit die Folgen des Mindestlohns besser untersucht werden könnten. Dafür müssten mehr Daten erhoben werden. Minister Heil sagte, er wolle sich dafür einsetzen. Der SPD-Politiker verwies auch auf die von der Bundesregierung geplanten zusätzlichen Stellen beim Zoll, der die Einhaltung des Mindestlohns kontrolliert. Nach Ansicht der Kommission müssten die Kontrollen stärker die Branchen, Betriebe und Regionen in den Fokus nehmen, in denen der Mindestlohn besonders wichtig ist. Den Erhebungen von Wirtschaftsforschern zufolge verdienten im Jahr 2016 – also ein Jahr nach Einführung der Lohngrenze – noch mindestens 750.000 oder nach anderen Berechnungen sogar 1,8 Millionen Beschäftigte weniger als den Mindestlohn. Arbeitgebervertreter Kampeter sagte: „Jeder, der sich nicht an Recht und Gesetz hält, ist kein anständiger Unternehmer. Verstöße gegen den Mindestlohn sind kein Kavaliersdelikt.“