London. Zwei Jahre nach Votum über EU-Austritt sucht das Königreich noch seinen Weg

    Es war die größte demokratische Veranstaltung seit einem Vierteljahrhundert. Mehr als 33,5 Millionen Briten gingen am 23. Juni 2016 zu den Wahlurnen, um in einem Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union abzustimmen. Am Morgen danach verkündet David Dimbleby, das Urgestein der BBC, das Ergebnis. „Das britische Volk hat gesprochen“, sagte er. „Und die Antwort ist: Wir sind draußen.“

    Nach 42 Jahren, fünf Monaten, drei Wochen und zwei Tagen der Mitgliedschaft hatte sich das Königreich vor zwei Jahren entschieden, dem Brüsseler Klub nicht mehr angehören zu wollen. Die Entscheidung fiel knapp aus: 51,9 Prozent gegen 48,1 Prozent. Das Votum ist dennoch deutlich: Es waren immerhin 17.410.742 Millionen Briten, die den Ausstieg wollten – eine Mehrheit von rund 1,27 Millionen gegenüber denen, die sich dagegenstemmten.

    Wenn auch die Entscheidung gefallen ist, so ist die Debatte nicht aus der Welt. Die eine Hälfte der Briten will sich nicht so ohne Weiteres damit abfinden, von der anderen Hälfte aus der Europäischen Union gezerrt zu werden. Und wie vor drei Jahren in Schottland hat man jetzt in England einen massiven Verfall der politischen Streitkultur erlebt: Da wurden Experten als parteiisch abgetan, der politische Gegner als Lügner hingestellt, Fakten ignoriert, und schließlich glaubte keine Seite der anderen irgendetwas mehr. Großbritannien scheint auf dem Weg zur „Post-Truth-Gesellschaft“, wie sie sich in den USA darbietet: eine Gesellschaft verfeindeter Lager, die sich nicht mehr über das verständigen können, was als wahr gelten soll.

    Die Premierministerin Theresa May hat da keinen leichten Job. Die Kluft zwischen EU-freundlichen „Remainern“ und scheidungslustigen „Leavern“ geht mitten durch ihre Fraktion und ihr Kabinett. Keine Seite darf sie zu sehr verprellen und keiner zu sehr entgegenkommen. Die Minister sind zerstritten über die künftige Marschrichtung und darüber, welche Art von Wirtschaftsmodell man ansteuern will. Zur Auswahl stehen zwei gegensätzliche Positionen. Die Singapur-Option, wie sie Außenminister Boris Johnson und Umweltminister Michael Gove anstreben, würde auf eine Volkswirtschaft hinauslaufen, die mit niedrigen Steuern und minimalen Regularien punkten will. Das andere Modell, für das Schatzkanzler Hammond streitet, plädiert dafür, dass sich Großbritannien möglichst eng an der EU orientiert und nur eine geringe regulatorische Divergenz zulässt.

    Für den EU-Gipfel in der nächsten Woche hat May keine Antworten auf die Frage, welche Handelsbeziehung sich das Königreich mit der EU wünscht. Erst eine Kabinettsklausur auf Chequers, dem Landsitz der Premierministerin, soll im Juli dann zu einem Weißbuch für die Brexit-Strategie führen. Der Kampf, wohin die Reise gehen soll – ob harter oder weicher Brexit –, wird weitergehen, denn in dieser Debatte spiegelt sich, was die Konservative Partei seit mehr als 20 Jahren innerlich zerreißt: der Streit zwischen euroskeptischen Thatcheristen und pragmatischen Konservativen. Man darf davon ausgehen, dass eine Lösung auf sich warten lassen wird.