Berlin. Das Personenstandsrecht soll eine Kategorie für Intersexuelle bekommen. Kritikern geht das nicht weit genug

    Kommt ein Kind auf die Welt, tragen die Standesbeamten ein, ob es ein Junge oder Mädchen ist. Doch was, wenn das Geschlecht nicht eindeutig ist? In Deutschland leben bis zu 160.000 Intersexuelle, Menschen also, bei denen Chromosomen, Hormone oder Genitalien nicht eindeutig ausgeprägt sind. Vom nächsten Jahr an soll es für diese Gruppe eine dritte Option geben: Der Standesbeamte soll künftig „männlich“, „weiblich“ oder „weiteres“ eintragen können.

    Im Herbst hat das Bundesverfassungsgericht der Regierung den Auftrag gegeben, bis Ende 2018 eine Lösung für diese Gruppe zu finden. Der Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium liegt nun unserer Redaktion vor: Er regelt nicht nur die Möglichkeit, bei Neugeborenen als Geschlecht „weiteres“ einzutragen, sondern auch die Option, in späteren Lebensjahren den Eintrag zu ändern, wenn er zunächst „männlich“ oder „weiblich“ lautete. Nötig ist dazu ein Papier vom Arzt, das die sogenannte Variante der Geschlechtsentwicklung nachweist. In Fällen, in denen die Geschlechtsentwicklung nicht zu einer eindeutigen Zuordnung führte oder die Zuordnung nach der Geburt falsch erfolgte, können Betroffene auch einen neuen Vornamen wählen.

    Ursprünglich hat der Entwurf aus dem Haus von Innenminister Horst Seehofer (CSU) als dritte Option die Bezeichnung „anderes“ vorgesehen. Doch das stieß auf Widerstand bei seinen SPD-Kabinettskolleginnen Franziska Giffey (Familie) und Katarina Barley (Justiz): Sie fanden die Formulierung unpassend. Kritik übten sie auch daran, dass keine Möglichkeit der Änderung der Geschlechtseintragung für Personen unter 14 Jahren vorgesehen war. Der neue Entwurf ermöglicht Kindern unter 14 Jahren, nun etwa mithilfe eines gesetzlichen Vertreters, den Eintrag zu ändern.

    Genau genommen werden in Zukunft mit der neuen Regelung vier Optionen möglich sein: Seit 2013 darf der Standesbeamte den Eintrag auch offenlassen, wenn eine Zuordnung nicht möglich ist. Die Karlsruher Richter hielten diese Variante als Alternative für intersexuelle Menschen aber für nicht ausreichend: Sie müssten damit „einen Eintrag hinnehmen, der den Eindruck erweckt, sie hätten kein Geschlecht“, schrieben die Richter in ihrer Urteilsbegründung.

    In einem zweiten Schritt will sich die Bundesregierung nun mit der anderen großen Gruppe befassen, die sich weder als männlich noch weiblich sieht: Bei Transsexuellen ist in der Regel das biologische Geschlecht eindeutig bestimmbar – die Eigenwahrnehmung aber passt nicht dazu. So fühlt sich etwa ein Mensch, der genetisch als Mann gilt, in seiner Persönlichkeit als Frau. Für diese Gruppe bringt die dritte Option nichts: Eine Änderung des Geschlechtereintrags im Nachhinein ist nach dem neuen Gesetz nur Menschen mit ärztlich nachweisbarer Intersexualität möglich. Transsexuelle müssen nach wie vor ein langwieriges Verfahren nach Transsexuellengesetz durchlaufen.

    Im engen Zuschnitt des jetzt vorgelegten Entwurfs sehen Kritiker eine der großen Schwachstellen. Sie werfen dem Innenministerium vor, nur das Allernötigste geregelt zu haben, ohne zu entscheiden, wie es in angrenzenden Rechtsgebieten weitergehen soll. Eine „Minimallösung“ nennt Katrin Nie­denthal das. Die Anwältin vertrat Vanja, die Person, die in Karlsruhe geklagt hatte. „Es ist völlig klar, dass es da weiteren Regelungsbedarf gibt, zum Beispiel beim Abstammungsrecht.“

    Aktuell steht dazu im Bürgerlichen Gesetzbuch: „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“ Doch was ist, wenn die Person, die ein Kind geboren hat, keine Frau ist, sondern intersexuell? „Diese Person wäre nach der derzeitigen Regelung keine Mutter, aber auch kein Vater“, sagt Niedenthal. „Heißt das, intergeschlechtliche Menschen können keine Eltern werden oder müssen ihre Geschlechtsidentität dafür aufgeben?“ Dafür müsse absehbar eine Regelung gefunden werden, so die Anwältin.

    Auch die Betroffenen selbst sind nicht zufrieden. „Inter“ oder „divers“ wäre eine bessere sprachliche Lösung gewesen, heißt es vom Verein Intersexuelle Menschen. Zudem lehnen sie die Bewertung durch einen Arzt ab: „Wir erwarten von den gesetzlichen Regelungen, dass von ihnen nicht wieder neue Diskriminierungen ausgehen“, so Lucie Veith, Gründungsmitglied des Vereins.

    Den ärztlichen Nachweis, den Betroffene bringen müssen, um Namen und Eintrag ändern zu lassen, sehen auch Fachpolitiker von FDP, Grünen und Linken kritisch. „Die Frage der geschlechtlichen Identität ist keine rein medizinische“, sagt Jens Brandenburg, Sprecher der Liberalen für LSBTI-Themen, also für die Belange von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen. Die Gutachten seien „überflüssig und demütigend“.

    „Das Urteil hat den Weg eröffnet, endlich ein Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg zu bringen, das trans- und intergeschlechtliche Menschen nicht länger pathologisiert, sondern ihre Würde und Rechte stärkt“, sagt Sven Lehmann, queerpolitischer Sprecher der Grünen, über die Entscheidung des Gerichts. „Die Bundesregierung lässt diese Chance ungenutzt.“