Moskau­. Im Schatten der WM setzt Präsident Putin unpopuläre Maßnahmen durch

    Nach dem 5:0-Triumph im Eröffnungsspiel der Fußball-WM gegen Saudi-Arabien feierte Russland ausgelassen. Ganz nebenher verkündete die Regierung eine stramme Erhöhung des Rentenalters: von 60 auf 65 Jahre für Männer und von 55 auf 63 Jahre für Frauen. Ärgerlich gerade für russische Männer. Deren durchschnittliche Lebenserwartung haben optimistische Staatsstatistiker seit 2005 von 59 auf 67,5 Jahre hochgeschraubt.

    Kremlsprecher Dmitri Peskow verteidigte die Reform damit, dass „Russland nicht im Vakuum lebt“. Ein Hinweis darauf, dass bereits in ganz Europa das Pensionsalter angehoben wurde. Experten aber hegen Zweifel. „Am Ende spart der Staat etwa 400 Milliarden Rubel jährlich“, sagt Professor Igor Rodionow von der Moskauer Hochschule für Wirtschaft. Umgerechnet sind das 5,5 Milliarden Euro – für den mit Öl-Dollars verwöhnten russischen Fiskus eher ein Pappenstiel. Und laut Rodionow kann auch die Masse der arbeitenden Russen in den nächsten Wochen ohne schlechtes Gewissen nonstop Fußball gucken. Schon jetzt würden 80 Prozent des vaterländischen Bruttosozialprodukts von fünf Millionen der insgesamt 73 Millionen Werktätigen geschaffen. „Die anderen beschäftigt man eigentlich nur, damit sie sich nicht langweilen.“ Im Übrigen soll auch die Mehrwertsteuer steigen: von 18 auf 20 Prozent. „Aber sie haben den Zeitpunkt geschickt gewählt: Die WM beginnt – und alle sind mit Unsinn beschäftigt“, schimpft Rodionow.

    Auch das russische Parlament glänzt rechtzeitig zum Turnier mit einer bemerkenswerten Debatte: Dürfen russische Frauen Sex mit nicht russischen WM-Schlachtenbummlern haben? Tamara Pletnjewa, Vorsitzende des Duma-Aussschusses für Familie, Frauen und Kinder, ermahnte auf Radio Goworit Moskwa die Russinnen, auf intime Beziehungen zu Ausländern zu verzichten. Unziemliches Verhalten russischer Frauen führe zur Geburt unehelicher Kinder. Aber auch wenn die Ausländer eine Ehe eingingen, ende das schlecht.

    Doch es kam Widerspruch aus dem Ausschuss für Körperkultur: „Je mehr Menschen aus verschiedenen Ländern sich ineinander verlieben, je mehr Kinder geboren werden, umso besser“, verkündete Ausschusschef Michail Degtjarew. „Weil diese Kinder sich in vielen Jahren daran erinnern, dass die Liebesgeschichte ihrer Eltern 2018 begann: in Russland, bei der WM.“