Brüssel.

Die EU-Kommission will sich in den Asylstreit der Union vorerst nicht einmischen. Obwohl es im Konflikt um europarechtliche Fragen und die europäische Asylpolitik geht, wehrte die Kommission als Hüterin der EU-Verträge alle Stellungnahmen zu den deutschen Vorgängen ab. Kommissions-Chefsprecher Magaritis Schinas verweist stattdessen gebetsmühlenartig auf den „sehr wichtigen“ EU-Gipfel in zwei Wochen, bei dem eine umfassende Asylreform auf der Tagesordnung steht.

Diese Reform, glaubt die Kommission, würde auch dafür sorgen, dass deutlich weniger bereits registrierte Asylbewerber in andere EU-Staaten weiterreisten. In Wahrheit ist man in Brüssel hoch alarmiert, dass Deutschland jetzt einen Alleingang in der Flüchtlingspolitik unternehmen könnte; die Regierungskrise im größten EU-Land so kurz vor dem Gipfel macht führende EU-Politiker rat- und fassungslos. Wie in dieser Lage eine Einigung auf eine Asylreform gelingen soll, „ist völlig unklar“, heißt es. Im EU-Parlament klingt es ähnlich. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten, der Deutsche Udo Bullmann, hat in einem Aufruf an Ratspräsident Donald Tusk Alarm geschlagen: „Die Staats- und Regierungschefs dürfen nicht länger abwarten und nationalistische Alleingänge auf Kosten der Humanität dulden.“ Tusk müsse dafür sorgen, dass auf dem Gipfel „gehandelt“ werde. Aber wie?

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker trifft am Dienstag Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Meseberg bei Berlin, dabei dürfte die Krise eine große Rolle spielen. Öffentlich lassen Juncker und die Kommission ihre Warnung vor Innenminister Horst Seehofers Alleingang nur vorsichtig anklingen: Die Asylpolitik sei eine „europäische Angelegenheit“, heißt es – also keine für nationale Solos. Klar ist aber, dass die EU-Kommission die Praxis Frankreichs, Flüchtlinge aus Italien gleich an der Grenze wieder zurückzuschicken, seit Jahren akzeptiert – 85.000 Menschen waren es allein 2017. Allerdings haben beide Länder dazu schon 1997 eine Vereinbarung abgeschlossen. Eine solche bilaterale Vereinbarung schwebt jetzt auch Merkel vor, etwa mit Italien oder Griechenland. Das wäre in der Theorie unproblematisch, weil vom EU-Recht gedeckt: In der Dublin-III-Verordnung, die das gemeinsame Asylrecht regelt, sind in Artikel 36 solche „Verwaltungsvereinbarungen“ vorgesehen; die Mitgliedstaaten können darin Absprachen treffen, um die Anwendung des Asylrechts „zu erleichtern“. Doch ist bislang nicht bekannt, ob Italien oder Griechenland eine solche Vereinbarung mit Berlin schließen wollen.

Für Brüssel heikler ist die Frage der Grenzkontrollen an der deutschen Grenze, die Voraussetzung des CSU-Plans wären: Die Kommission hat mehrmals klargestellt, dass sie solche Ausnahmen von der Freizügigkeit im Schengenraum nicht mehr lange dulden wird. „Wenn Schengen kollabiert, ist dies das Ende der EU, wie wir sie kennen“, sagte kürzlich Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos dieser Zeitung.