Singapur.

Es ist das Bild des Tages: Kim Jong-un und Donald Trump schreiten auf dem roten Teppich in Singapur aufeinander zu – es kommt zum historischen Handschlag. Und das gleich zweimal: zu Beginn des Gipfels und an dessen Ende. Während sich der US-Präsident danach den Fragen der Medien stellt, lässt sich Kim bejubeln. Massen, die ihm begeistert zuwinken – das ist dem Diktator von zu Hause vertraut. Selbst als er im fernen Singapur an seinem Hotel aus der Limousine steigt, brechen Schaulustige in Hochrufe aus. Kim grinst breit und winkt zurück.

Kim, der Sieger. Auch wenn Donald Trump sich am Dienstag als großer Macher darstellte, hat sein nordkoreanischer Kontrahent nach Ansicht von Experten das bessere Geschäft gemacht. Zwar erklärte sich Kim zur „vollständigen Denuklearisierung“ bereit. „Doch es fehlen überprüfbare Kriterien dafür“, sagt Ben Forney vom Asan Institute for Policy Studies in Seoul. Die Erklärung bringe keine der beiden Seiten verlässlich auf den Weg der Deeskalation.

Stattdessen konnte Kim sich als wichtiger Führer bestätigt fühlen. Trump behandelte ihn mit größtem Respekt. Überhaupt gaben beide sich den ganzen Tag über besonders staatsmännisch. Sie gingen gemessenen Schrittes, schüttelten Hände, machten wohlgesetzte Äußerungen. Trump wirkte allerdings vor den Kameras deutlich lockerer, während Kim etwas steif danebenstand. Kein Wunder: Nordkoreanische Machthaber müssen sich üblicherweise nicht mit den Medien herumschlagen.

Kim macht die schwüle Hitzein Singapur zu schaffen

Kim gab sich zwar sichtbar Mühe, nicht aus der Rolle zu fallen. Doch ab und zu scheiterte er – nämlich dann, wenn ihm die schwüle Hitze in Singapur zusetzte. Er geriet schon bei wenigen Schritten in den offenen Säulengängen des Capella-Hotels auf der Insel Sentosa ins Schwitzen und wurde kurzatmig. Wenn er durch den Mund atmete und Trump von unten anblickte, dann wirkte der Koreaner mehr wie der Sohn des 37 Jahre älteren Amerikaners.

Zugleich war den beiden Gesprächspartnern die gegenseitige Sympathie anzusehen. Tatsächlich scheint Kim dem US-Präsidenten hinter verschlossenen Türen mächtig geschmeichelt zu haben. Denn Trump lobte ihn hinterher über den grünen Klee. Es sei bemerkenswert, wie gut Kim sein Land regiere – und das, obwohl er schon in so jungen Jahren die Macht übernehmen musste. Kim sei „unglaublich talentiert“, eine „bemerkenswerte Persönlichkeit“, ein „ganz besonderer junger Mann“.

So etwas sagt Trump über Leute, die er zwar nicht für schwach hält, die ihm aber auch nicht widersprechen und seine Fähigkeiten nicht infrage stellen. Kim hatte ihm schon bei der Ankunft am Konferenzort respektvoll den Vortritt gelassen, wie sich das in der koreanischen Kultur gegenüber dem Älteren gehört. Seine Limousine fuhr genau sieben Minuten vor der des US-Präsidenten vor. Kim war entschlossen, dieses Treffen zum Erfolg zu machen.

Nach dem Gipfel trat Donald Trump vor die Medien. Der 71-Jährige sagte, er habe 25 Stunden lang nicht geschlafen und stattdessen ohne Pause verhandelt. Das nährte ein Gerücht, das sich schon seit dem Vortag hielt: Dies sei gar nicht das erste Treffen der beiden Staatsführer gewesen, Kim und Trump hätten sich bereits am Montag heimlich abgesprochen. Das würde zumindest die Existenz eines unterschriftsreifen Dokuments erklären. Tatsächlich waren genug gepanzerte schwarze Limousinen durch Singapur gerollt, um so ein Arrangement zumindest möglich erscheinen zu lassen.

Andererseits war das Dokument auch unklar genug, um rasch auf Basis vorhandener Absprachen formuliert worden zu sein. Trump ging gegenüber der Presse über die Lücken in der gemeinsamen Erklärung einfach hinweg. „Der Prozess beginnt jetzt sehr schnell“, erklärte er. „Da steckt sehr viel guter Willen von beiden Seiten drin.“

Trump zeigte sich stattdessen rundum zufrieden mit seiner Leistung als Verhandlungsführer. „Wir haben einen sehr intensiven halben Tag miteinander verbracht und fantastische Ergebnisse erzielt.“ Seine Leistung gehe weit über das hinaus, was andere Präsidenten vor ihm mit Nordkorea erreicht haben.

Experten widersprechen. Schon 1993 und danach mehrfach haben Kims Vater und Großvater ähnliche Vereinbarungen unterschrieben. Sie haben sie stets gebrochen. Deshalb wollten mehrere Vorgänger Trumps den Nordkoreanern keine Zugeständnisse machen, ohne dass diese in Vorleistung gehen.

Für Kim dagegen ging ein Traum in Erfüllung, den schon sein Vater hegte: auf der Weltbühne als mächtiger Herrscher ernst genommen zu werden. Er begegnet dem mächtigsten Mann der Welt auf Augenhöhe. Tatsächlich erhöhen die Fotos von den lächelnden Staatsmännern Kims politische Statur enorm – auch im Inland. Nordkoreas Medien haben auf Anweisung Kims bereits am Dienstag umfangreich über die Reise ihres „geliebten, respektierten Führers“ berichtet. Noch nie ist einer der Machthaber des Landes offiziell so weit gereist. Die „Arbeiterzeitung“ brachte auf der Titelseite eine lange Reihe von Farb­bildern mit Kim beim Besuchsprogramm in der glitzernden Wirtschaftsmetropole Singapur mit Wolkenkratzern im Hintergrund. Es scheint fast, als ob Kims Atomprogramm nur das Mittel gewesen sei, um an diesen Punkt in seinem Leben zu kommen.

Auch das Bild von der Begrüßung dürfte ihm gefallen haben: Präsident und Diktator geben sich pünktlich um neun Uhr vor einer Reihe nordkoreanischer und amerikanischer Fahnen die Hand. Auch hier große Harmonie: Beide Nationen haben die gleichen Landesfarben. Auf dem Bild leuchtet der gesamte Hintergrund in Blau, Rot und Weiß.

Für Trump scheint an diesem Dienstag in Singapur das Fiasko um den G7-Gipfel in Kanada vergessen zu sein – im Vordergrund stattdessen ein US-Präsident, der das Unmögliche möglich macht. „Ich weiß genau, wie man zu einem Deal kommt. Und ich habe es hier genauso gemacht“, brüstete er sich. Trump hat am Dienstag tatsächlich durch sein eigenwilliges Verhalten eine verkrustete Situation aufgebrochen. Schon im Wahlkampf hatte er gesagt, er sei zu einem Treffen mit Kim bereit. Bereits das hat Händeringen und Kopfschütteln bei US-Diplomaten ausgelöst. Doch nur dieses Treffen – nur diese Respektbezeugung für den Außenseiter Kim – hat den Vertrag möglich gemacht.

Am Ende zeigt Trump dem Nordkoreaner das „Beast“

Bisher aber hat sich das Format der beiden Machtmenschen an einem Tisch als wirksamer erwiesen als die Sechsparteiengespräche, an denen sich Nordkorea sowie Japan, Südkorea, Russland, die USA und weitere Spieler bislang ab­zuarbeiten pflegten. Das zeigt aber auch, in welche Richtung Trump die Weltpolitik umgestaltet: weg vom Multilateralismus, mit vielen Ländern und Organisationen an einem Tisch, und hin zum Bilateralismus, zu vielen kleinen Deals einzelner Nationen. Die Rückkehr der starken Männer ist in vollem Gange. Kim und Trump sind skurrile Typen, aber sie passen gut in die Zeit.

Kurz vor Schluss ließ Trump seinen neuen Partner sogar noch einen Blick in seine Limousine werfen. Das gepanzerte „Beast“ war wie üblich eigens aus den USA eingeflogen worden. Manchmal schien Kim das alles selbst kaum glauben zu können. „Viele Leute in der Welt werden das für eine Art Fantasie halten, aus einem Science-Fiction-Film“, meinte er. Der Mann, dem der Westen Morde in der eigenen Familie vorwirft, der Zehntausende in Arbeitslagern schindet – plötzlich ist er salonfähig.