La Malbaie/Washington.

Die Freude und Erleichterung über eine mühsam errungene Einigkeit beim G7-Gipfel in Kanada sollten bei der Kanzlerin und ihren Unterhändlern nur kurz währen. Als Angela Merkel am Sonnabend Nachmittag Ortszeit in Kanada die Maschine nach Berlin bestieg, hatten sich Deutschland, England, Kanada, Italien, Japan, Frankreich und die USA auf eine G7-Erklärung verständigt.

Darin verpflichteten sich die Unterzeichner zu „freiem, fairem Handel zum gegenseitigen Nutzen“ auf Basis eines „regelbasierten Welthandelssystems“, sprich: gegen jenen Protektionismus, den US-Präsident Donald Trump mit seinen Strafzöllen auf Stahl- und Aluminium-Exporte ins Werk gesetzt hatte. Trump lobte die Gespräche und bezeichnete seinen Draht zu den anderen Staats- und Regierungschefs als „hervorragend“ und von gegenseitigem Verständnis getragen. Als Merkels Maschine sieben Stunden später in Berlin landete, war die Welt jedoch bereits wieder aus den Fugen.

Was war geschehen? Als Gastgeber Justin Trudeau, Kanadas Premierminister, im malerischen La Malbaie seine Gipfel-Bilanz zog, saß Trump bereits im Flugzeug in Richtung Singapur, wo an diesem Dienstag der Atom-Gipfel mit Nordkoreas Diktator Kim Jong-un­ stattfinden soll. Als der US-Präsident davon erfuhr, dass Trudeau zum 1. Juli Vergeltungszölle gegen die USA verhängen wird („Wir Kanadier sind nett, wir sind vernünftig, aber wir lassen uns nicht herumschubsen“), bekam Trump nach Informationen von US-Medien hoch über den Wolken in der Air Force One einen Wutanfall. Er wies seine Emissäre in Kanada an, die US-Zustimmung zum Schlussdokument des Gipfels einzukassieren, und kanzelte Trudeau in Twitter-Tiraden als „sehr schwach“ und „unehrlich“ ab. Mehr noch: Trump drohte erneut im Stil eines Handelskriegers damit, Import-Strafzölle auf weitere Produkte – etwa Autos – auszudehnen, was vor allem auf Deutschland und Japan katastrophale Auswirkungen haben könnte.

Es ist eine Kehrtwende, die in der mehr als 40-jährigen G7-Geschichte beispiellos ist. Irritiert ließ die Bundesregierung (wie auch die EU in Brüssel) verkünden, dass man bei den in Kanada vereinbarten Grundsätzen bleibe. Das französische Präsidialamt fügte vergrätzt hinzu, dass die internationale Zusammenarbeit nicht von „Wutanfällen“ und Twitter-Beiträgen abhängig gemacht werden dürfe. „Die Rücknahme per Tweet ist natürlich ernüchternd und auch ein Stück deprimierend“, sagte Kanzlerin Merkel zudem am Sonntagabend in der ARD-Talksendung „Anne Will“.

Bei der Rekonstruktion der turbulenten Stunden in Kanada kamen US-Kommentatoren zu dem Schluss, dass Trump den Eklat „vorher eingepreist“ haben könnte, um den „Keil“ noch tiefer in das Bündnis der westlichen Industriestaaten zu treiben. Bereits mit seiner Terminplanung – Trump kam zu einer wichtigen Sitzung zum Thema Frauenförderung sehr zum Verdruss der weiblichen Top-Vertreter von Merkel bis zur britischen Premierministerin Theresa May 15 Minuten zu spät und reiste fünf Stunden vor allen anderen vorzeitig ab – habe der Präsident den Gastgeber bewusst düpiert. In der Sache, etwa beim vereinbarten Schutz der Ozeane vor Plastikmüll, zeigte Trump null Kooperationsbereitschaft.

Bei den Gesprächen hinter verschlossenen Türen zum Mega-Thema Handel ließ Trump zudem erkennen, dass er kein Jota von seiner Überzeugung abweicht, wonach Amerika von nahezu allen anderen Ländern gnadenlos ausgenutzt werde. „Wir sind wie ein Sparschwein, das von allen geplündert wird“, sagte Trump bei seiner Abschluss-Pressekonferenz und kündigte an: „Damit ist nun Schluss.“ Trump ging sogar so weit, den westlichen Industrienationen eine totale Handelsblockade anzudrohen, sollten diese nicht umgehend Hemmnisse etwa für die US-Landwirtschaft abbauen.

Das war aber nicht der einzige Affront. Im Alleingang hatte Trump zudem erklärt, dass Russland – seit 2014 wegen der Annexion der Krim aus dem Kreis der damaligen G8 verbannt – unbedingt wieder aufzunehmen sei. Außer bei Italien traf diese Initiative komplett auf Widerspruch. Was Russlands Präsident Wladimir Putin zu einer eigenen Attacke nutzte. Bei Gesprächen in China charakterisierte er die Kritik der G7 an Moskau als „Gelaber“ und drängte einmal mehr auf ein baldiges Treffen unter Männern: Putin und Trump. Bereits im Juli könnte es in Wien dazu kommen.

John McCain, der dem Krebstod geweihte prominente Republikaner, erkannte als einer der ersten die Tragweite des Desasters. Der Senator aus Arizona: „Bündnisse, die auf 70 Jahren gemeinsamer Werte basieren“, könnten nicht so einfach zerstört werden. Den in Schockstarre verfallenen Europäern versicherte McCain: „Amerikaner stehen an eurer Seite, auch wenn unser Präsident es nicht tut.“