Berlin.

Andrea Nahles hat gute Laune mitgebracht. Wie das? Die SPD krebst im ARD-Deutschlandtrend bei 17 Prozent herum. Einige Genossen murren, die Partei habe in der erneuten Koalition mit der Union einen Fehlstart hingelegt. Nahles’ persönliche Umfragewerte sind mau. Doch die Partei- und Fraktionsvorsitzende, die sich zwei Tage lang mit den SPD-Bundestagsabgeordneten zu einer Klausur zurückgezogen hatte, glaubt, dass es endlich vorangeht. Und zwar in Europa, das der SPD besonders am Herzen liegt.

Am Wochenende beendete Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihr fast neunmonatiges Schweigegelübde und lieferte – auch in der SPD – lang ersehnte Antworten auf die Vorschläge des französischen Präsidenten Emmanuel ­Macron. „Ich freue mich erst einmal immer, wenn insbesondere die Bundeskanzlerin die gemeinsam verabredete Politik dann auch vertritt“, lobte Nahles am Montag, um stichelnd hinzuzufügen, dass sie sich diese Klarheit von Merkel „auch an anderen Stellen“ in der Innenpolitik wünsche.

Im Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ hatte Merkel unter anderem einen „Investivhaushalt für die Euro-Zone“ begrüßt. Dieser neue Finanztopf könnte „schrittweise“ mit Geld in einem Umfang im unteren zweistelligen Milliardenbereich gefüllt werden. Das wäre zwar weniger als von Macron verlangt – aber dennoch ein Zeichen der jahrelang in Südeuropa als „Madam No“ kritisierten Kanzlerin, mit zusätzlichen Finanzspritzen zu versuchen, die Schere zwischen Arm und Reich in Europa zu verkleinern. Auch soll der künftige Euro-Rettungsschirm EWF Kredite mit einer Laufzeit von fünf Jahren vergeben können – mit der Bedingung, dafür Reformen umzusetzen. Nahles und der bei der Klausur als Gast anwesende Eurogruppen-Chef, Portugals sozialistischer Finanzminister Mario Centeno, sind zufrieden, dass Merkel damit drei Wochen vor dem EU-Reformgipfel erste Weichen stellt, um das Europakapitel aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Verschnupft reagierten manche Genossen darauf, dass Merkel dies ohne Absprache über die Medien tat, und nicht etwa in einer Regierungserklärung. „Wir sind noch nicht so weit gekommen, dass die Frau Kanzlerin ihre Interviewplanung mit mir abstimmt“, sagte Nahles grinsend, „aber wir arbeiten daran.“

Finanzminister Olaf Scholz arbeitet seit Wochen eng mit dem Kanzleramt und Paris bei den Reformvorschlägen zusammen. Aber wäre es nicht ratsam gewesen, Scholz hätte selbst einen Euro-Aufschlag gemacht, statt diesen der Kanzlerin zu überlassen? Scholz sieht das gelassen. Beim EU-Gipfel stünden ohnehin Merkel und Macron im Scheinwerferlicht. Nahles betonte, die SPD werde darauf achten, dass das „soziale Europa“ nicht unter den Tisch falle. Es werde viel über den Euro und die Finanzen geredet, aber zu wenig über gemeinsame Standards für Mindestlöhne und eine Grundsicherung in allen EU-Staaten. „Wir wollen ein soziales Europa mit konkreten Fortschritten für die Arbeitnehmer“, sagte Nahles. Dazu habe Merkel bedauerlicherweise nichts gesagt, ebenso wenig wie zu einer stärkeren Besteuerung von Digitalkonzernen wie Amazon und Google.