Berlin.

Es ist eine Symphonie in Blau: Bundeskanzlerin Angela Merkel trägt ein königsblaues Sakko, Israels Premierminister Benjamin Netanjahu steht im dunkelblauen Anzug daneben, die Krawatte leuchtet ebenfalls blau. Die Regierungschefs bemühen sich nicht nur um farbliche Harmonie, sondern auch um inhaltliche Übereinstimmung. In Teilen zumindest. Am 4. Oktober fänden die nächsten deutsch-israelischen Regierungskonsultationen statt – dieses Mal in Jerusalem, sagt die Kanzlerin. Eine große Wirtschaftsdelegation sei mit dabei. Netanjahu nickt, lobt das „sehr enge Verhältnis“ und das „hervorragende Bündnis“ zwischen Deutschland und Israel. Die Pressekonferenz am späten Montagnachmittag im Kanzleramt beginnt mit einem atmosphärischen Aufheller.

Das ist auch nötig. Anfang 2017 hatte Merkel die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen abgesagt – offensichtlich aus Verärgerung über die Siedlungspolitik der Regierung Netanjahu. Beide hatten diese Differenzen damals in eine diplomatische Formel gepackt: Wir sind uns einig, nicht einig zu sein.

Netanjahu auf Blitz-Werbetour durch Europa

Beim internationalen Atomabkommen mit dem Iran ist das noch immer so. Die Kanzlerin spricht es offen an: Beide Seiten hätten hier „unterschiedliche Meinungen“. Deutschland halte an dem Vertrag fest, da er es ermögliche, die nuklearen Aktivitäten des Irans „für eine bestimmte Zeit“ zu kontrollieren. Beim Ziel seien sich Deutschland und Israel einig: „Der Iran darf niemals eine nukleare Bewaffnung bekommen.“

Netanjahus Visite in Berlin ist Teil einer Blitz-Werbetour nach Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Alle drei EU-Mitgliedsstaaten wollen zusammen mit Russland und China das Atomabkommen mit dem Iran erhalten, aus dem US-Präsident Donald Trump kürzlich ausgestiegen ist.

Netanjahu ist kein Traumtänzer. Er macht sich keine Illusionen, dass die Europäer seiner knallharten Position folgen – zumindest nicht auf kurze Sicht. Israels Premier hatte kürzlich ­Teheran in einer spektakulären Multi-Media-Show vorgeworfen, umfangreiche Forschungen zum Bau einer Atombombe heimlich aufbewahrt zu haben.

Wichtig ist für den Israeli, dass die Europäer Irans Rolle im Nahen Osten sowie das Raketen-Programm des Landes kritisch unter die Lupe nehmen. Und so fährt Netanjahu am Montag eine Breitseite nach der anderen gegen das schiitische Mullah-Regime. Er spricht von der „großen Gefahr islamischer Staaten“ im Nahen Osten. Der oberste politische und religiöse Führer des Irans, Ajatollah Ali Khamenei, habe ­Israel am Montag in einem Tweet als „Krebsgeschwür“ bezeichnet, „das beseitigt werden muss – und beseitigt werden wird“. In Syrien ständen bereits 18.000 Angehörige schiitischer Milizen, die von iranischen Offizieren kommandiert würden. Das Ziel sei, die Zahl auf 80.000 aufzustocken.

Zudem hätten die iranischen Kräfte ihr Waffenarsenal drastisch ausgebaut, heißt es in Jerusalem. Heute verfüge die mit dem Iran verbündete Hisbollah im Libanon über rund 100.000 Raketen, sieben Mal so viele wie 2006. Israel rechnet mit dem Szenario eines vom Iran gesteuerten Mehrfrontenkriegs. Zum einen seien die Hisbollah-Verbände im Libanon auf ein Signal aus Teheran hin gefechtsbereit, betonen Regierungskreise. Vor allem aber beunruhigt Jerusalem, dass die schiitischen Milizen und Revolutionsgardisten immer näher an die israelische Grenze im Südwesten Syriens heranrückten. Teheran lege es früher oder später darauf an, einen „regionalen Krieg“ im Nahen Osten zu führen, in der die Mehrheit der Bevölkerung aus Sunniten bestehe, warnt Netanjahu. Die Folge seien gigantische Flüchtlingswellen, von denen vor allem Europa betroffen sei. Darum sei es richtig, dass der US-Präsident scharfe Sanktionen gegen den Iran verhängt habe. Eine Prise Provokation schwingt mit, als der Israeli von einer Begegnung mit dem in diesen Tagen wenig diplomatisch auftretenden US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, berichtet. Der Amerikaner habe um eine Unterredung am Flughafen gebeten. Deshalb treffe er ihn „kurz“.

Die Kanzlerin blickt Netanjahu kühl von der Seite an. Das Verhältnis der beiden ist durchaus kompliziert. Merkels Bekenntnis zu Israel ist in Stein gemeißelt. Am 18. März 2008 hatte sie die Sicherheit Israels in einer viel beachteten Rede in der Knesset als „Teil der Staatsräson“ Deutschlands bezeichnet. „Und wenn das so ist, dann dürfen das in der Stunde der Bewährung keine leeren Worte bleiben.“ Auf der anderen Seite bemängelt sie, dass die Regierung Netanjahu zu wenige Anstrengungen für eine Zwei-Staaten-Lösung unternehme, die Platz für Israel und Palästina lasse. Dennoch: Mit Blick auf die regionale Rolle des Irans ist sich Merkel mit Netanjahu einig. Die militärischen Aktivitäten in Syrien und im Jemen seien „besorgniserregend“ und müssten „eingeschränkt“ werden. Am Schluss bemüht sich Netanjahu um ein versöhnliches Signal. Er versucht, eine Brücke zu Merkel zu bauen. „Nicht heute, aber vielleicht morgen wird es möglich sein, Frieden mit den Palästinensern zu schließen“, sagt er. Die Kanzlerin nickt und lächelt kurz. Immerhin.