Berlin.

Christian Lindner hat derzeit Freude an der Oppositionsarbeit. Am frühen Montagmorgen stellte der FDP-Fraktionschef den Antrag auf Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der die Arbeitsweise der Flüchtlingsbehörde Bamf und das „Krisenmanagement der Bundesregierung“ beleuchten. Das Bamf steht in der Kritik, weil die Staatsanwaltschaft dem Verdacht nachgeht, unter einer ­ehemaligen Leiterin der Bremer Bamf-Außenstelle seien mindestens 1200 Asylentscheidungen ohne rechtliche Grundlage ergangen. 18.000 Altfälle prüft das Bundesamt nun allein in Bremen, 8500 weitere Asylbescheide in zehn weiteren Außenstellen. Auch dort gibt es auffällige Asylquoten – mal zugunsten der Flüchtlinge, mal zulasten. Hinweise auf organisierten Asylbetrug hat das Bamf bisher nur in Bremen.

Das Bemühen um Aufklärung könne ein „Beitrag zur Befriedung der Gesellschaft“ sein, sagte Lindner. Die FDP steht Seite an Seite mit der AfD, die mit einem Untersuchungsausschuss vor allem mit Merkels Flüchtlingspolitik abrechnen will. Lindner bemüht sich zwar um Abgrenzung, er wolle nicht rechtspopulistische Verschwörungstheorien bestätigten. Doch Lindners FDP geht einen schmalen Grat – und lässt offen, ob sie sich zur Not auf Stimmen der AfD stützt. Mindestens ein Viertel der Abgeordneten im Bundestag muss einem Bamf-Ausschuss zustimmen.

Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann hielt am Montag als erster SPD-Spitzenpolitiker die Einsetzung eines U-Auschusses für geboten. „Nach wie vor sind die zentralen Fragen offen, insbesondere, wer die Verantwortung für die groben Missstände trägt“, sagte Oppermann dieser Zeitung. „Wenn das im Innenausschuss nicht schnell und restlos aufgeklärt wird, ist ein Untersuchungsausschuss die logische Konsequenz.“

Die Debatte hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und amtierende und ehemalige Minister erreicht. Bislang wird die Verantwortung munter hin- und hergeschoben. Wie gefährlich wird die Krise für die beteiligten Politiker?

Angela Merkel

Ihr gelang es bislang erfolgreich, den Zwist an sich abperlen zu lassen. Doch am Mittwoch muss die Kanzlerin sich erstmals – im Bundestag – Fragen der Parlamentarier stellen. Das wurde auf Druck der SPD im Koalitionsvertrag verabredet. Merkel trägt als aktuelle und damalige Regierungschefin die politische Verantwortung für den Umgang Deutschlands mit den hohen Flüchtlingszahlen 2015. Die Entscheidung, an den Grenzen niemanden zurückzuweisen, hat sie getroffen. Vor 2015 verpasste ihre Bundesregierung zudem, das Bamf – aber auch die gesamte EU – auf die Flüchtlingsbewegung vorzubereiten. Obwohl es Warnungen gab. Merkel wusste schon 2015, dass das Bamf der Krise nicht gewachsen war. Deshalb holte sie September 2015 Frank-Jürgen Weise als neuen Amtschef. Dass auch Weise sie 2017 zweimal auf gravierende Missstände im Bamf aufmerksam gemacht hat, dementiert die Regierung nicht. Zu der Zeit war Weise nicht mehr Chef des Bundesamtes, aber Beauftragter für Flüchtlingsmanagement. Entscheidend ist, welche Konsequenzen Weises Warnungen hatten. Für die Opposition ein Indiz, dass Merkel mehr wusste von der Misere im Bamf. Und falsch gehandelt haben könnte.

Peter Altmaier

Der CDU-Politiker und Bundeswirtschaftsminister war in der vergangenen Regierung der Chef des Kanzleramts. Der enge Wegbegleiter von Merkel wurde von ihr im Herbst 2015, auf dem Höhepunkt der Krise, als Flüchtlingskoordinator eingesetzt. Damit zog das Kanzleramt Zuständigkeiten an sich, die zuvor beim Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) lagen. Altmaier wurde der Manager der Flüchtlings­politik. Nun spielt er in Interviews seine Rolle herunter. „Die Zuständigkeit für das Bamf lag und liegt während der gesamten Zeit beim Bundesministerium des Inneren“, sagte Altmaier und betonte, man habe alle Entscheidungen gemeinsam mit den 16 Bundesländern ­getroffen. Einschließlich Bayern.

Horst Seehofer

In Bayern saß Seehofer damals noch als Ministerpräsident. Jetzt führt er das Innenministerium. Er wird nun nicht müde zu erklären, er habe die Regierungspolitik in der Flüchtlingskrise „immer am lautesten“ kritisiert. Der Zwist um eine Obergrenze brachte die Union an den Rand einer Trennung. Nun gibt Seehofer den Chefaufklärer, erteilt bereitwillig Auskunft auf Fragen der Opposition. Und bringt Distanz zwischen sich und Merkel. Die Misere im Bamf und hitzige Debatten über Lücken im Asylsystem spielen ihm sogar in die Karten: Er wirbt derzeit für seine umstrittenen Ankerzentren für Flüchtlinge. Allerdings saß auch Seehofers CSU in den Jahren der Fluchtkrise in der Koalition, die Partei trug alle Entscheidungen der Kanzlerin mit. Jetzt hängt Seehofer als Minister voll drin in der Bamf-Krise – und kann doch sagen, alles sei vor seiner Amtszeit passiert. Sogar einem Untersuchungsausschuss würde er nicht widersprechen. Von den Missständen will der CSU-Mann erst im April 2018 erfahren haben, ordnete Gründlichkeit vor Schnelligkeit an. Seehofer zeigt mit dem Finger vor allem auf einen: seinen Vorgänger.

Thomas de Maizière

Der Ex-Innenminister schweigt bisher zur Bamf-Affäre. Seine Mitstreiter von damals betonen, das Ministerium habe von den Betrugsvorwürfen in Bremen nichts gewusst. Das ist plausibel – doch auch ein schlechtes Zeugnis für einen Minister, der offenbar wenig Brisantes aus seinem Bundesamt erfuhr. Einzelne, die 2013 bis 2017 wichtige Posten im BMI hatten, sagen sogar: Von der Kommunikation zwischen Weise im Bamf und Altmaier im Kanzleramt sei man abgeschnitten gewesen. Weise hebt dagegen auf Nachfrage dieser Redaktion hervor, man habe das Innenministerium über alles Wichtige informiert. Für Seehofer und Merkel wäre es einfach, bliebe die Verantwortung am Ende bei de Maizière hängen. Er sitzt zwar noch als Abgeordneter im Bundestag, für die Regierungsarbeit ist er aber unwichtig geworden.

Frank-Jürgen Weise

Als Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA) entsandte Merkel den profilierten Behördenleiter als „Wir schaffen das“-Manager 2015 ins Bamf. Sein Auftrag vor allem: Den gewachsenen Stapel an fälligen Asylentscheidungen im Bundesamt zu schrumpfen. Denn nicht nur Regierung, auch Opposition, Länder und Kommunen kritisierten damals das Amt: Es arbeite viel zu langsam. Also beschleunigte Weise – mit allen Mitteln. Holte pensionierte Finanzbeamte als Laien-Asylentscheider ins Amt, auch Soldaten und Arbeitslose. Das Bamf wuchs von 2000 auf 10.000 Mitarbeiter. Nur: Viele hatten von Asylrecht oder der Lage etwa in Afghanistan keine Ahnung, wurden „on the job“ geschult. Weise gelang es, das träge Bamf zu modernisieren. Heute sagen seine Kritiker: Das passierte auf Kosten der Qualität – und der Sicherheit.

Jutta Cordt

Anfang 2017 machte Weise Jutta Cordt zur neuen Bamf-Präsidentin. Er kannte sie schon von der Arbeitsagentur. Cordt setzte einerseits auf den umstrittenen Beschleunigungskurs ihres Vorgängers, andererseits konzentrierte sie sich 2017 mehr auf Sicherheit im Asylverfahren und Qualität der Entscheide. Ihr Vorteil: Mittlerweile kommen deutlich weniger Geflüchtete ins Land. Nur greifen Cordts Maßnahmen zu spät. Das zeigte sich, als sich der Rechtsradikale Franco A. als Syrer ausgab – und Asyl bekam. Das zeigt sich auch im mutmaßlichen Asylbetrug in der Bremer Außenstelle. Cordt steht zudem auf Kriegsfuß mit dem Personalrat des Bamf. Der Vorwurf: Wichtige Schulungen zum Asylrecht würden weiterhin hinter dem Druck der hohen Vorgaben an Entscheider zurückstehen. Noch hält Seehofer an der Amtsleiterin fest, stellte sich nach dem Innenausschuss vor sie, lobte ihre Mithilfe an der Aufarbeitung der Missstände. Cordt geht mit einer neuen „Qualitätssicherung“ in die Offensive. Wie lange ihre Atempause anhält, hängt vor allem davon ab, welche Missstände ihre internen Prüfer in den Außenstellen noch zu Tage bringen.