Washington/Berlin.

Die seit Monaten befürchtete nächste Eskalationsstufe im Handelskonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und Europa ist da. US-Wirtschaftsminister Wilbur Ross verkündete am Donnerstag in einer kurzen Telefonkonferenz, dass die zeitweise ausgesetzten US-Strafzölle auf Stahl (25 Prozent) und Aluminium (10 Prozent) aus Europa, Kanada und Mexiko ab Freitagmorgen, sechs Uhr deutscher Zeit, dauerhaft bleiben. Am Mittwoch war Ross noch in Paris. Für den Wunsch der Europäer, bitte erst den Colt beiseitezulegen, um dann in Ruhe weiterzureden, hatte der Milliardär und Vertraute von US-Präsident Donald Trump nur ein müdes Lächeln übrig. Die Tür zu weiteren Verhandlungen soll aber offen bleiben.

Wie reagiert die EU?

„Das ist ein schlechter Tag für den Welthandel. Das ist reiner Protektionismus“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Minuten nach der Entscheidung. Gegenmaßnahmen würden umgehend eingeleitet. Kanzlerin Angela Merkel kündigte bei einem Portugal-Besuch ein gemeinsames Handeln der EU an. „Unsere Antwort sollte klar sein, stark und klug.“ Außenminister Heiko Maas (SPD) kann die US-Entscheidung nicht nachvollziehen. „Unsere Antwort auf ‚America First‘ kann nur heißen: ‚Europe united‘“, sagte er. Der Vorsitzende der konservativen Parteien im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), sagte dieser Redaktion: „Europa ist ein mächtiger Handelspartner. Das werden wir jetzt deutlich machen.“

Was genau will Europa Trump ­entgegensetzen?

Neben einer Beschwerde bei der Welthandelsorganisation (WTO), die sich aber lange hinziehen wird, sollen Schutzmaßnahmen für die europäische Stahlindustrie sehr schnell aktiviert werden – diese Zölle sind nicht nur die Antwort an die USA. Sie sollen auch verhindern, dass China, Russland und andere Produzenten den Stahl, den sie in den USA nicht mehr verkaufen können, nun spottbillig in Europa anbieten.

Welche US-Produkte will sich die EU vorknöpfen?

Auf die Einfuhr von amerikanischen Motorrädern, Textilien, Whiskey, Orangensaft, Motorjachten oder Küchengeräten in die EU würden höhere Zölle erhoben – die Liste ist so ausgeklügelt, dass der Schaden für die USA in etwa den Einbußen für die europäische Stahlindustrie von rund drei Milliarden Euro entspräche.

Erhöht Trump dann Zölle für deutsche Autos drastisch?

Bereits beim Besuch von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in ­Washington soll Trump gesagt haben, er werde dafür sorgen, dass in Zukunft keine Mercedes-Wagen mehr auf der Fifth Avenue in New York fahren würden. Dabei produzierten BMW, ­Daimler und VW in florierenden US-Fabriken im Vorjahr 800.000 Autos zum Teil für den Weltmarkt und schafften Zehntausende Arbeitsplätze. Ross warnte die EU ausdrücklich vor Vergeltungsmaßnahmen. Laut US-Analysten würde eine Erhöhung der Einfuhrzölle von derzeit 2,5 auf 25 Prozent für Pkw allein für die deutschen Hersteller ­Belastungen von zusätzlich fünf Milliarden Dollar bedeuten. Die Aktien der Autobauer gerieten unter Druck.

Warum war bislang kein Kompromiss möglich?

US-Handelsminister Ross hatte als ­Alternative Ausfuhrobergrenzen vorgeschlagen. Dies hätte nach Berechnungen seines Ministeriums den gleichen Effekt auf die angestrebte höhere Auslastung der US-Stahlindustrie wie die Strafzölle. Denn Trump geht es unter anderem darum, sein Gesicht bei den Stahlarbeitern zu wahren, das US-Handelsdefizit zu verringern und Wahlversprechen einzuhalten. Die EU aber wollte sich nicht erpressen lassen und verlangte, von den Zöllen bedingungslos und unbefristet ausgenommen zu werden. Erst dann sollte über Handelserleichterungen für die US-Wirtschaft (mehr US-Flüssiggasexporte nach Europa, besserer Marktzugang für amerikanische Autobauer, eine attraktivere Vergabe öffentlicher Aufträge, eine WTO-Reform) gesprochen werden. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström beklagte: „Die USA haben versucht, die Drohung mit Handelsbeschränkungen als Hebel zu benutzen, um Zugeständnisse von der EU zu erhalten.“ Dies sei nicht die Art, zwischen langjährigen Freunden und Verbündeten Geschäfte zu machen. Dass Trump nicht Europas Freund ist, dürfte allerdings längst klar sein.

Was könnten deutsche ­Autobauer tun?

Audi und Porsche, die Luxustöchter von VW, haben in Amerika keine Produktionsstätten und wären somit direkt verwundbar. Mercedes, BMW und VW dagegen unterhalten seit Jahren große Werke in Bundesstaaten wie Alabama, South Carolina oder Tennessee. Hier könnte nach Einschätzung von Autoanalysten in Washington durch Ausweitung der Produktion der Wettbewerbsnachteil durch höhere Einfuhrzölle teilweise kompensiert werden.

Worauf setzt Trump mit seiner Strategie?

Auf ein Auseinanderbrechen der bisherigen Einheitsfront der EU. Weil Frankreich etwa bei der Autoproduktion anders als Deutschland in den USA nichts zu verlieren hat, hoffen Trumps Berater auf ein Einlenken der Europäer, bevor der Handelskrieg wirklich eskaliert. Sollte es zu hohen Strafzöllen auf Autoimporte aus der EU kommen, heißt es aus dem Umfeld Trumps, werde sich zeigen, ob Macron und Merkel „wirklich an einem Strang ziehen“. In Sachen Autos wäre Deutschland auf die Solidarität der anderen EU-Staaten angewiesen.

Was sagt die Industrie?

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sprach von einer „Zäsur im transatlantischen Handel“. DIHK-Präsident Eric Schweitzer kritisierte: „Mit der Einführung von Strafzöllen selbst gegen ­engste Verbündete brechen die USA internationales Recht.“

Könnte das Handelsabkommen TTIP aus dem Eisfach geholt werden?

Einige EU-Politiker brachten kürzlich eine abgespeckte Version des von Trump beerdigten Freihandelsabkommens TTIP zwischen der EU und den USA ins Gespräch. Haushaltskommissar Günther Oettinger oder Außenhandels-Präsident Holger Bingmann sprechen von einem „TTIP light“, bei dem beide Seiten vor allem Industriezölle senken sollen. Angesichts der verhärteten Fronten dürfte das schwierig werden. FDP-Chef Christian Lindner will ein anderes Signal setzen. Die EU-Staaten und Deutschland sollten das EU-Handelsabkommen CETA mit Kanada komplett umsetzen: „Der Bundestag sollte gerade angesichts der neuen Lage schnellstmöglich das Freihandelsabkommen mit Kanada ratifizieren, um ein Zeichen zu setzen“, sagte er dieser Redaktion.

Droht ein Austritt der USA aus der Welthandelsorganisation (WTO)?

Experten in Washington halten die Zollpolitik von Trump für ein „Warmlaufen“ für einen WTO-Austritt. Seit Langem wirft Trump der Organisation Antiamerikanismus vor. „Sie wurde zum Wohl aller geschaffen – außer uns“, sagt er. Dabei gewannen die USA nicht selten Schiedsgerichtsverhandlungen der WTO. Trotzdem blockiert das Weiße Haus die Besetzung von Richterposten, was die Streitschlichtung lähmt. Ross formulierte die Fundamentalkritik an der WTO so: „Sie passt nicht mehr in die heutige Zeit.“ Eine Kündigung der Mitgliedschaft wäre für Trump jederzeit möglich – es gilt eine Frist von nur sechs Monaten.