Kiew.

Die dramatischen Bilder haben sich bei Frank-Walter Steinmeier eingebrannt. „Ich werde diesen 20. Februar 2014 nicht vergessen, nicht die Rauchschwaden der brennenden Barrikaden, nicht die Schüsse, die zu hören waren, vor allem aber nicht die mehr als hundert Toten“, sagt der Bundespräsident am Dienstag vor Studenten der Mohyla-Akademie in Kiew. Dem damaligen Außenminister war es vor vier Jahren gemeinsam mit seinen Kollegen aus Frankreich und Polen gelungen, in Verhandlungen nahe der Kampfzone auf dem Maidan kurzzeitig die politische Lage zu beruhigen. „Schon deshalb wird mich das Schicksal ihres Landes für den Rest meines Lebens begleiten“, sagte Steinmeier zum Auftakt seines zweitägigen Besuchs in der Ukraine. Zum ersten Mal ist er als Bundespräsident an jenen Ort zurückgekehrt, der ihn als Chefdiplomat am stärksten gefordert hatte.

Und die Lage ist nicht einfacher geworden. In der Ostukraine kämpfen ukrainische Armee und von Russland unterstützte Separatisten mit erbitterter Härte, die Krim wurde von Russland annektiert, an eine Umsetzung des Minsker Friedensabkommens ist nicht zu denken. Steinmeier hätte viel zu sagen. Aber als Staatsoberhaupt hat er weniger Beinfreiheit. Im frisch renovierten Präsidentenpalast in Kiew sichert er Gastgeber Petro Poroschenko zu, dass bei der umstrittenen Erweiterung der Gaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland die Interessen der Ukraine (die bislang am Transport von russischem Gas in den Westen verdient) berücksichtigt werden sollten. Poroschenko preist Steinmeier als Schutzengel der Ukraine und verlangt erneut eine Blauhelm-Mission im Donbass.

Bei aller Herzlichkeit spricht Steinmeier zumindest vor den Studenten auch Klartext. „Korruption und Nationalismus können auf unterschiedliche Weise gefährden, was auf dem Maidan unter großen Opfern erkämpft wurde.“ Die Ukraine habe 2017 nicht einmal die Hälfte der EU-Gelder abgerufen. Mehr als tausend deutsche Firmen sind in dem 45-Millionen-Land aktiv. Im März 2019 soll die Präsidentenwahl stattfinden. Das Misstrauen der Ukrainer gegenüber Poroschenko ist groß. Chancen auf ein Comeback hat die schillernde Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko. Für Steinmeier geht es in „seiner“ Ukraine aber nicht nur um Krieg und Frieden. Der Präsident zeigte sich begeistert, dass 700.000 Ukrainer Deutsch lernen – das sei ein starkes Signal für Europa.