Eigentlich gehört eine China-Reise für Angela Merkel zur Routine. Zehnmal ist sie in ihrer Amtszeit in Peking gewesen – so oft wie kein anderer westlicher Regierungschef. Ihre elfte Reise war als Antrittsbesuch vorgesehen – wie es sich für zwei befreundete Staaten gleich nach Start einer neuen Regierung gehört. Chinas Premierminister Li Keqiang begrüßte die deutsche Kanzlerin zum Auftakt ihres zweitägigen Besuchs am Donnerstagmorgen mit Soldatenshow und Kanonensalven – eine Ehre, die in China keineswegs jedem Regierungschef zuteilwird.

Ein paar Wochen nach Beginn ihrer vierten Amtszeit ist die Kanzlerin endgültig zurück in ihrer Rolle als Außenpolitikerin. Doch die Vorzeichen haben sich dramatisch verschoben, das zeigt sich auch in Peking.

Washington zieht sich mit US-Präsident Donald Trump immer weiter aus der Weltpolitik zurück und spielt dann doch in Nordkorea und im Handelsstreit mit China wieder in vorderster Reihe mit – und sei es als Unruhestifter. Auch in China sitzt er irgendwie unsichtbar mit am Tisch.

Seitdem Trump vor zwei Wochen das Atomabkommen mit dem Iran aufgekündigt hat, herrscht nicht nur in London, Paris und Berlin Ratlosigkeit über den Umgang mit dem wieder aufflammenden Konflikt im Nahen Osten. Auch die Regierung in Peking weiß nicht mehr weiter.

Nach einem ersten Treffen mit Kanzlerin Merkel am Donnerstag äußerte sich der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang zwar kritisch über den Ausstieg der USA aus dem multilateralen Abkommen. „Das hat sehr, sehr negative Folgen, auch auf andere Konflikte auf der Welt“, warnte Li und betonte, dass China weiterhin zu dem Vertrag stehe.

Merkel pflichtete ihm bei. „Das Abkommen ist nicht perfekt, die Alternativen dazu sind aber noch unsicherer.“ Deswegen sei es besser, zu dem Atomabkommen zu stehen. Doch auf die Frage, wie beide Länder reagieren sollten, falls Trump seine Drohung wahr macht und auch deutsche oder chinesische Firmen sanktioniert, die Geschäftsbeziehungen zum Iran pflegen, hatten beide keine sofortige Antwort parat.

Zaghaft deutete Merkel an, das wirtschaftlich mächtige China könne ja einspringen. Wenn die USA Sanktionen umsetzen, könne es sein, dass europäische Unternehmen aus dem Iran abzögen „und andere mehr in den Iran gehen“, sagte sie mit Blick auf Chinas Unternehmen. Sie könnten in die Lücke vorstoßen. Li ging auf diese Anmerkung zunächst jedoch nicht näher ein.

Auch der von Trump losgetretene Handelsstreit ruft Sorgenfalten in Peking und Berlin hervor. Trump attackiert die Chinesen in dem Konflikt um zu hohe Handelsüberschüsse sehr viel heftiger als Deutschland, das ebenfalls hohe Überschüsse mit den USA aufweist; in erster Linie handelt es sich also um einen amerikanisch-chinesischen Konflikt. Trotzdem drohen die Europäer als große Verlierer hervorzugehen.

Als einen Schritt der Annäherung mit den USA erwägt China etwa, dem US-Flugzeugbauer Boeing mehr Maschinen abzunehmen. Bislang haben die Chinesen zur Hälfte Airbus-Maschinen gekauft, zur anderen Hälfte Flugzeuge von Boeing. Sollten die chinesischen Fluggesellschaften nun die Anweisung erhalten, mehr von den USA einzukaufen, ginge das auf Kosten des europäischen Konsortiums.

Dabei hat Berlin seinen eigenen Streit um ungleiche Handels- und Investitionsbedingungen mit Peking auszufechten. Spätestens nach den spektakulären chinesischen Übernahmen unter anderem des Roboterherstellers Kuka sowie erheblicher Anteile von Daimler und der Deutschen Bank ist in Deutschland die Sorge groß, dass es China mit seinen Milliardeninvestitionen vor allem auf deutsche Schlüsseltechnologien abgesehen hat. Das ist auch nicht von der Hand zu weisen. Chinas Führung hat sich zum Ziel gesetzt, innerhalb der nächsten sieben Jahre zur führenden Technologienation aufzusteigen. Und Know-how aus Deutschland soll dazu beitragen.

Deutschen Unternehmen jedoch wird der Zugang zu chinesischen Schlüsselbranchen verweigert. „Die Kanzlerin muss darauf drängen, dass deutsche Unternehmen in China einen gleichberechtigten Zugang zum Markt und zu öffentlichen Ausschreibungen bekommen“, hatte der Deutsche ­Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Merkel vor ihrer Abreise noch auf den Weg gegeben.

In Peking sagte Merkel, sie hätte nichts dagegen, wenn China sich an deutschen Firmen beteilige: „Das ist in Ordnung.“ Zugleich mahnte sie jedoch mehrfach „Reziprozität“ an, das Fachwort für gleiche Bedingungen. Doch auch darauf ging Li nicht ein.

Außer den Deutschen waren es in den letzten Jahren nur noch die USA, die Chinas Führung für ihre anhaltenden Menschenrechtsverletzungen kritisiert hatten. Mit Trumps Präsidentschaft interessiert sich die US-Regierung für dieses Thema nicht mehr.

Abgesehen von einigen kleineren europäischen Staaten sieht sich nur noch die Bundesregierung in der Pflicht, sich etwa für die Freilassung Liu Xias einzusetzen, der Witwe des vor einem Jahr in Haft an Krebs verstorbenen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo. Ohne jemals konkret verurteilt zu werden, steht sie seit acht Jahren unter Hausarest. Sie leidet unter schweren Depressionen. Hinter verschlossenen Türen wird verhandelt – bislang ohne Erfolg

Nachdem sich Merkel mit Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping getroffen hatte, kommt die Eilmeldung: Trump habe das für den 12. Juni geplante Treffen mit dem nordkoreanischen Machthaber Kim Jong-un abgesagt. Kopfschütteln sowohl in der deutschen Delegation als auch auf chinesischer Seite. Trump schweißt zusammen.