Berlin.

Zum Bremer Asyl-Skandal droht die Opposition mit der Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. Laut FDP-Fraktionsmanager Marco Buschmann führt kein Weg daran vorbei. Innenminister Horst Seehofer (CSU) empfände es nicht als „Bedrohung“, wie er am Donnerstag bei der Haushaltsdebatte im Bundestag beteuert. Er ist gelassen, weil die „Auffälligkeiten und Unregelmäßigkeiten“ sich vor seiner Amtszeit ereigneten. Als er Mitte März als Innenminister antritt, ist die Leiterin der Bremer Bamf-Stelle, Ulrike B., seit Jahresanfang suspendiert und Strafanzeige gestellt. Nach einer Razzia am 18. und 19. April bittet Seehofer am 24. April den Bundesrechnungshof, das Bundesamt auf „systemische Mängel“ zu überprüfen.

Bei der Aufklärung gibt es ein unkalkulierbares Momentum. Im Raum steht der Verdacht, dass Seehoher früher von den Vorgängen erfuhr als er vorgibt. Bei Affären muss man zwischen Aufklärung, Krisenmanagement und Umgang mit der Wahrheit trennen. Am wichtigsten ist die Aufklärung, brisanter jeder Anschein der Unwahrheit. Anatomie einer Affäre.

Was in Bremen falsch lief

Bei der Bremer Bamf-Stelle werden Asylbewerber von 2013 bis 2017 in mindestens 2000 Fällen rechtswidrig begünstigt. Das ist der Verdacht, der aus den polizeilichen Unterlagen hervorgeht. Die Leiterin der Behörde, Ulrike B. zieht Fälle an sich, für die sie nicht zuständig ist, lässt Anträge liegen, bis Fristen verfallen und die Menschen nicht mehr in sichere EU-Drittstaaten zurückgeschickt werden können und hebt rechtmäßige Ablehnungen auf. Sie arbeitet mit drei Anwälten und einem Dolmetscher zusammen, die ihr Asylbewerber aus allen Bundesländern zuführen. Für die Bamf-Zentrale ist weniger die individuelle Fehlleistung das Problem; umso mehr aber, dass diese jahrelang unbemerkt bleibt. Misstrauisch musste machen, dass die Schutzquote bundesweit ohne Bremen 62 Prozent beträgt, in der Hansestadt aber 96 Prozent.

Frau Schmid und ihr Verdacht

Anfang 2018 wird Ulrike B. suspendiert. Das Bamf beordert aus Deggendorf Josefa Schmid in die Hansestadt. Sie soll die Außenstelle auf Vordermann bringen. Schmid verfasst einen über 90-seitigen Untersuchungsbericht und schöpft einen ungeheuerlichen Verdacht: Dass es beim Bamf schon seit Langem Hinweise auf die Unregelmäßigkeiten gab. Das Bamf leitet ihren Bericht weiter an die Staatsanwaltschaft, unterrichtet aber Schmid nicht und verlängert nicht ihre Abordnung. Aus ihrer Sicht sieht es so aus, als wollte die Zentrale die Affäre runterdimmen und sie bestrafen. Also sucht sie den Kontakt zu Seehofer.

Die SMS, die niemals ankam?

Offenbar versucht sie Anfang März über die Staatskanzlei in München – Seehofer ist noch bayrischer Ministerpräsident –, Alarm zu schlagen. Als eine Reaktion ausbleibt, verschafft sie sich seine Handynummer und schickt ihm am 30. März eine SMS mit der Bitte um ein Gespräch. Eine SMS, die Seehofer nie bekommen haben will. Das Innenministerium beharrt darauf, dass er erst am 19. April von den Vorgängen in Bremen informiert worden sei. Für seine Funkstille gibt es eine simple Erklärung: Mit seinem Weggang nach Berlin tauscht er sein Handy aus, wie mehrere Quellen dieser Zeitung bestätigen. Da sie keinen Anschluss findet, klopft Schmid am 4. April bei seinem Staatssekretär Stephan Mayer an. Es ist die Woche nach Ostern, keine Sitzungen in Berlin, dafür steht eine USA-Reise an. Der Staatssekretär vereinbart mit Schmid, sie solle ihm ihren Bericht mailen. Zehn Tage später, am 14. April, an einem Sonnabend, hält er die 90 Seiten erstmals in der Hand. Rückblickend sagt er, „ich gebe Frau Schmid durchaus recht, dass die Vorgänge in Bremen ungeheuerlich sind, dass sie unfassbar sind“. Kann es sein, dass der Minister die SMS nie bekommen hat? Ist es möglich, dass ein Seehofer-Vertrauter wochenlang seinen Chef in Unkenntnis über ein wichtiges Telefonat lässt? „Zudem steht die Frage im Raum, ob er nicht schon früher über den Skandal in Bremen informiert war als behauptet“, argwöhnt FDP-Politiker Buschmann. Lauter Fragen für einen Ausschuss.