JeruSalem.

Es war ein Tag der Ex­treme. In Jerusalem gab es festliche Reden zur Einweihung der neuen US-Botschaft, die sich bislang in Tel Aviv befunden hatte. Israelische und amerikanische Gäste feierten. Gleichzeitig kam es im Gazastreifen zu massiven Ausschreitungen. Bei gewaltsamen Protesten von Palästinensern wurden mehr als 50 Menschen von israelischen Sicherheitskräften getötet und rund 2000 verletzt. Die israelische Luftwaffe flog Angriffe auf die im Gazastreifen herrschende radikalislamische Hamas.

US-Präsident Donald Trump war zwar nicht persönlich gekommen. Aber in der neuen amerikanischen Botschaft sprach er vom Bildschirm, per Videoaufzeichnung aus Washington. „Israel ist eine souveräne Nation und hat wie alle souveränen Nationen das Recht, seine Hauptstadt selbst zu bestimmen.“ Trump hatte den Umzug der US-Botschaft sowie die einseitige Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt im Dezember bekannt gegeben. Am Montag wurde zunächst die konsularische US-Vertretung in Jerusalem zur Botschaft umgewidmet. Das neue Gebäude ist erst in ein paar Jahren fertig.

Die meisten Todesopfer seit dem Gazakrieg 2014

Unter der hochkarätigen Delegation in Jerusalem waren US-Finanzminister Steven Mnuchin, Trumps Tochter Ivanka und deren Ehemann, Jared Kushner, US-Senatoren und Gouverneure sowie Israels wichtigste Amtsträger. Kushner, Berater Trumps und Sonderbeauftragter für Nahost, bekräftigte Amerikas „starke Verpflichtung für einen dauerhaften Frieden“ und den Respekt für den besonderen Status Jerusalems mit den heiligen Stätten der verschiedenen Weltreligionen. Israels Premierminister, Benjamin Netanjahu, dankte Trump überschwänglich: „Indem Sie die Geschichte anerkannt haben, haben Sie Geschichte geschrieben!“ Und weiter: „Ein Frieden, der auf Lügen basiert, kann nur an den Felsen der nahöstlichen Realität zerschellen. Und die Wahrheit ist, dass Jerusalem immer die Hauptstadt des jüdischen Volkes bleiben wird.“

Zum gleichen Zeitpunkt war die Opferzahl bei den Protesten im rund 80 Kilometer entfernten Gazastreifen schon auf mehrere Dutzend gestiegen. Das berichtete das Gesundheitsministerium in Gaza. Bereits seit sechs Wochen hatten im Küstenstreifen jeden Freitag Tausende beim sogenannten „Großen Marsch der Rückkehr“ demonstriert. Sie protestierten gegen die Vertreibung der Palästinenser 1948 aus Israel und forderten ein Recht auf Rückkehr.

Am Montag demonstrierten rund 40.000 Menschen an zwölf verschiedenen Stellen im Gazastreifen. Der Rauch brennender Autoreifen und das Tränengas israelischer Kräfte hüllten das Gebiet an den Sperranlagen wie schon in den Vorwochen in dicke, beißende Schwaden. Immer wieder hörte man Schüsse, Sirenen, Geschrei. Nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums in Gaza wurden 2000 Demonstranten verletzt, davon rund die Hälfte durch Schüsse und 750 durch Tränengas. Es war der Tag mit den meisten Todesopfern seit dem Gazakrieg 2014.

Das neue US-Siegel an der Wand des Botschaftsgebäudes im Jerusalemer Stadtteil Arnona war für viele Palästinenser einer der Gründe, auf die Barrikaden zu gehen. Andere, im Falle von Gaza, folgten der Aufforderung der radikalislamischen Hamas zum Marsch auf den Grenzzaun. Die israelischen Sicherheitskreise hatten zuvor befürchtet, dass Terroristen der Hamas und anderer militanter Gruppen die Verzweiflung der Palästinenser und das Chaos ausnutzen könnten, um den Grenzzaun zu überrennen und in eine israelische Gemeinde in der Nähe einzufallen. Um das zu verhindern, waren die Truppen der israelischen Armee an der Grenze noch einmal aufgestockt worden. Bereits seit Beginn der Proteste wurde scharfe Munition eingesetzt, nun wurden „die Einsatzregeln noch einmal verschärft“, so ein israelischer Experte.

Nach den vergangenen Tagen und Wochen waren die Israelis gewarnt. Immer wieder hatten Palästinenser Lenkdrachen mit Brandsätzen über den Zaun geschickt, um israelische Felder anzuzünden. Am Freitag hatte ein palästinensischer Mob sogar einen Teil des Grenzübergangs Kerem HaShalom niedergebrannt und damit den mit Abstand wichtigsten Versorgungsweg des unter Blockade stehenden Küstenstreifens abgeschnitten. Darunter zum Beispiel die Treibstoffzufuhr.

Israelische Militärs erklärten, Hamas-Kräfte hätten danebengestanden und es geschehen lassen, weil es ihrem Protest nützte. Nach dem Motto: Je größer die Verzweiflung der Menschen, desto größer der Druck auf Israel und die Welt. Horrorbilder aus Gaza könnten nicht nur im Interesse der Hamas sein, sondern womöglich auch ganz nach dem Geschmack der Mullahs in Teheran.

Die israelische Armee bombardierte am späten Nachmittag sieben Hamas-Posten im nördlichen Gazastreifen, angeblich als Reaktion auf Bomben und Brandsätze in Richtung ihrer Truppen. Schon vorher hieß es, man habe einen Anschlag auf den Grenzzaun durch Terroristen verhindert. Sicherheitsminister Gilad Erdan sprach am Rande der Feier in Jerusalem über die hohe Zahl der Toten: „Das hat nichts zu bedeuten. Genauso wie die hohe Zahl von toten Nazis im Krieg die Nazis nicht zu etwas gemacht habe, das man erklären oder verstehen kann.“ Erdan sagte, Israel wolle keine Toten und machte stattdessen die Hamas-Führung verantwortlich für ihr „zynisches und bösartiges Ausnutzen des Blutvergießens“.

Doch es wurde nicht nur in Gaza demonstriert, sondern auch im Westjordanland und Ost-Jerusalem. Dort waren Hunderte Palästinenser dem Aufruf der Palästinensischen Autonomiebehörde und der Fatah gefolgt und hatten unter anderem in Ramallah, am Checkpoint Qalandia, in Bethlehem, Hebron und Nablus demonstriert. Die israelische Armee hatte auch im Westjordanland bereits im Vorfeld ihre Truppen verstärkt.

Scharfe Kritik an israelischen Sicherheitskräften

Doch der Mittelpunkt der Proteste lag in Gaza. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas berief eine Sitzung der wichtigsten Führungsgremien ein, um die Situation in der Enklave zu diskutieren. Gegenüber US-Präsident Trump gab sich Abbas erneut unnachgiebig. Sein Sprecher Nabil Abu Rdeineh erklärte zum Umzug der Botschaft: „Mit diesem Schritt hat die US-Regierung ihre Rolle im Friedensprozess aufgegeben, die Welt, das palästinensische Volk, die arabische und die muslimische Nation beleidigt. Das hat zu Hetze und Instabilität geführt.“ Die Palästinenser sehen Ost-Jerusalem als ihre legitime Hauptstadt bei einer Zwei-Staaten-Lösung, doch diese scheint nun noch weiter in die Ferne zu rücken.

International gab es zum Teil heftige Kritik am Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte. Der UN-Hochkommissar Zeid Ra’ad al Hussein verurteilte die „abscheulichen Menschenrechtsverletzungen“ der Israelis. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Die Türkei bezeichnete das Vorgehen Israels im Gazastreifen als „Massaker“. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini rief Israelis und Palästinenser zu „allergrößter Zurückhaltung“ auf. „Israel muss das Recht auf friedliche Demonstrationen respektieren und bei der Anwendung von Gewalt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren“, sagte sie. Ähnlich äußerte sich das Außenministerium in Berlin.

Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri rief seine Anhänger angesichts der Botschaftsverlegung der Amerikaner zum Widerstand auf. Es sei nötig, die Feinde vereint mit einem Heiligen Krieg (Dschihad) zu bekämpfen, sagte der Führer des dschihadistischen Terrornetzwerks in einem Video. Trump habe, so Al-Sawahiri, „das wahre Gesicht der Kreuzzüge“ enthüllt.

Die Zeichen stehen auf Eskalation.