Berlin.

Es war das erste öffentliche Scharmützel seit dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag – und es bescherte den Liberalen rechtzeitig zum Parteitag an diesem Wochenende endlich wieder das, was Lindners Truppe seit dem Jamaika-Aus nur noch selten hat: große Aufmerksamkeit. Das liegt am heiklen Thema der Russland-Sanktionen, vor allem aber an der ersten offenen Konfrontation zwischen Parteichef Christian Lindner und seinem Stellvertreter Wolfgang Kubicki. Doch als reiche das noch nicht, vergaloppierte sich Lindner auch noch beim Thema Zuwanderung – und löste einen Shitstorm im Netz aus.

Der Streit über die Russlandpolitik kreist um die Frage, ob Deutschland die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland beenden sollte, um den Dialog zu erneuern. Die Mehrheit der FDP-Spitze ist gegen eine Lockerung der Sanktionen, „weil es den Hardlinern im Kreml in die Hände spielen würde“, wie Lindner argumentiert. Zwar wirbt auch der Parteichef für eine neue Russlandpolitik, doch ein Ende der Sanktionen wäre „der zweite Schritt vor dem ersten“. Kubicki unterstützt dagegen einen Vorstoß der Thüringer FDP, die die Wirtschaftssanktionen beenden will. Sie hätten „keine erkennbaren Fortschritte“ gebracht“.

Außenexperte Alexander Graf Lambsdorff warb am Sonntag beim Parteitag in Berlin leidenschaftlich für ein Festhalten an den Sanktionen – auch dann, wenn einzelne Unternehmen, besonders in Ostdeutschland, darunter litten: „Wirtschaft ist nicht wichtiger als Frieden, Wirtschaft ist nicht wichtiger als Menschenrechte.“ Anders als die Grünen, die nur mit den Oppositionellen sprechen wollten, und anders als die „kritiklosen Putin-Fans“ bei den Linken habe die FDP ein umfassendes Konzept für eine neue Russlandpolitik. Das kam an: Die Delegierten stellten sich am Ende mit großer Mehrheit hinter die harte Sanktionspolitik.

Für Kubicki war es keine Überraschung, aber auch kein Debakel. Er hat seinen Ruf als Querdenker und unabhängiger Kopf gefestigt – und weiß, dass Lindner ihm am Ende sogar für den öffentlichkeitswirksamen Disput dankbar sein muss. Lindner hatte bereits am Sonnabend in seiner Grundsatzrede versucht, Druck aus dem Kessel zu nehmen: Die FDP sei eine „lebendige“ Partei. „Ein Meinungsspektrum macht uns nicht schwach, sondern macht uns stark.“

Ein anderer Satz aus seiner Rede fiel dem Parteichef dagegen auf die Füße: In der Schlange beim Bäcker, hatte Lindner gesagt, könne man nicht unterscheiden, „wenn einer mit gebrochenem Deutsch ein Brötchen bestellt, ob das der hoch qualifizierte Entwickler künstlicher Intelligenz aus Indien ist oder eigentlich ein sich bei uns illegal aufhaltender, höchstens geduldeter Ausländer“. Die Menschen müssten sich aber sicher sein, auch wenn jemand anders aussehe und nur gebrochen Deutsch spreche, dass es keine Zweifel an seiner Rechtschaffenheit gebe.

Im Netz reagierten viele empört und warfen Lindner vor, bewusst rassistische Ressentiments zu schüren. Ein FDP-Mitglied erklärte sogar seinen Austritt. Lindner hatte sich bereits in der Vergangenheit den Vorwurf zugezogen, mit populistischen Äußerungen AfD-Wähler zur FDP zurückholen zu wollen.

Am Sonntag antwortete der Parteichef per Videobotschaft via Twitter auf den Sturm im Netz: „Wer in meinen Äußerungen Rassismus lesen will oder Rechtspopulismus, der ist doch etwas hysterisch unterwegs.“ Ihm gehe es darum, dass sich die Menschen auf ein geordnetes Verfahren im Rechtsstaat verlassen könnten.